Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
andere Aufgabe zuwies. Antonina war froh, nicht länger Warwaras missbilligende Blicke ertragen zu müssen. Sie wusste, dass sie niemals dem Vergleich mit der verstorbenen Gräfin standhalten konnte, nicht nur in Warwaras, sondern auch in Konstantins Augen, wie ihr inzwischen klar geworden war.
Bald war Lilja mit den verschiedenen Schichten an Kleidung vertraut, die Antonina trug, und lernte, ihr beim Ankleiden zu helfen. Antonina zeigte ihr auch, wie sie ihre Haare hochgesteckt haben wollte. Es war eine komplizierte Aufgabe für die junge Frau, und manchmal mussten beide lachen, wenn Lilja sich mit Antoninas fülliger Haarpracht abmühte. Aber, so sagten sich beide, für eine Frau, die mit geschickten Fingern die delikateste Spitze herstellte, sollte auch die noch so kunstvolle Frisur einer adligen Dame keine allzu große Herausforderung darstellen.
Eines Abends kniete Lilja neben der Wanne vor dem Kamin, in der Antonina ein Bad nahm, und fuhr zärtlich über Antoninas mächtigen Bauch. Unter der gespannten Haut war deutlich der Abdruck einer winzigen Ferse zu erkennen. Sie ließ die Hand auf der Erhebung liegen und lächelte Antonina an. Diese Geste ermutigte Antonina, Lilja nach der Geburt ihrer Zwillinge zu fragen. Antonina schämte sich, weil sie so gar nichts über den Geburtsvorgang wusste, aber sie hatte ja niemand anderen, den sie hätte fragen können.
Lilja, deren Hand noch immer auf Antoninas Bauch ruhte, antwortete nicht sofort.
» Lilja? «
Lilja sah Antonina in die Augen, dann auf ihre eigene Hand, die sanft den Bauch der anderen Frau streichelte. » Deine Haut ist so zart « , sagte sie im Flüsterton.
Antonina zuckte die Schultern. » Mein Körper fühlte sich nicht mehr wie meiner an. Aber versprichst du mir, Lilja, dass du während der Niederkunft bei mir bleibst? «
Lilja zog ihre Hand zurück und ergriff ein warmes Handtuch. » Komm, du musst jetzt schlafen. « Während sie Antonina aufzustehen half, sagte sie: » Du wirst stark sein, ich weiß das. Wenn ich es überlebt habe, wo mir nur eine alte Frau aus der Nachbarhütte geholfen hat, während ich auf einem Laken vor dem Ofen hockte und mit den Wehen kämpfte, dann wirst du es erst recht überleben, Tosja. Der Doktor und ein Heer von Frauen werden dir zur Seite stehen. Und natürlich werde ich auch da sein. Ich werde immer für dich da sein. Immer. « Sie knetete sanft durch das Handtuch Antoninas Schultern, dann rieb sie etwas beherzter über deren Rücken.
» Oh ja, das fühlt sich gut an. Das tut so gut « , murmelte Antonina, und Lilja schloss einen Moment die Augen.
Als Antonina im Bett war und Lilja ihr Umstandskleid in den riesigen Kleiderschrank hängte, strich sie über eines der vielen prächtigen Kleider, die Antonina besaß.
» Bestimmt wirst du froh sein, wenn du die wieder tragen kannst. «
Antonina nickte. » Ja, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ich je wieder hineinpassen soll. « Sie tätschelte ihren Bauch und lachte unbeschwert.
Lilja, die tat, als würde sie Kleider glätten, beugte sich in den riesigen Schrank, barg das Gesicht in der Seide des Kleides und sog den vertrauten Rosengeruch ein.
ACHTZEHN
S eit Mischas Entführung schläft Lilja manchmal auf der Fensterbank im Schlafzimmer der Gräfin. Tag für Tag versucht sie sie zu überreden, ein Bad zu nehmen. Wenn Antonina es zulässt, fährt Lilja langsam und behutsam mit dem weichen Waschlappen über Antoninas Körper. Sie weiß, dass es ihr wehtut, wenn man sie zu fest berührt. Mehrmals am Tag bringt sie ihr eines ihrer Lieblingsgerichte und süßen Tee und bemüht sich, sie dazu zu bewegen, ein paar Happen zu sich zu nehmen. Sie stellt ihr einen Strauß mit den ersten Schneeglöckchen und Hyazinthen hin. Abends, ehe sie die Laken wechselt, schiebt sie sie in den bequemen Sessel vor dem Kamin. Manchmal, wenn sie ihr geholfen hat, unter die Bettdecke zu schlüpfen, legt sie sich neben sie und summt ihr ein Lied vor, während sie ihr über Rücken, Stirn und Haar streichelt, bis Antonina in einen schlafähnlichen Zustand fällt.
Lilja – was für eine gute und treue Freundin sie in diesen Tagen ist, denkt Antonina bisweilen. Manchmal könnte man meinen, dass diese Zeit eine glückliche für sie ist, wäre da nicht Mischas Abwesenheit. Der Graf liegt in einem tranceähnlichen Zustand in seinem Zimmer. Und sie hat Antonina ganz für sich.
In Konstantins Zimmer hat Olga Schüsseln mit gehacktem Knoblauch aufgestellt, um sein Fieber zu senken. Aber es
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