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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Tätigkeiten wie Putzen, Scheuern, Fegen, Wischen und Plätten an, tagein, tagaus. Die hungrigen Mägen der in Kost und Logis wohnenden
Burschen
fragten nicht nach Sonn- oder Feiertagen.
    Aber Alena wollte nicht undankbar sein. Die Witwe hatte vom ersten Augenblick an zu ihr gestanden, als Abraham sie betrogen hatte, und ihr das halbe Zimmer im Erdgeschoss zur Verfügung gestellt – ohne etwas dafür zu verlangen. Das war schon eine Menge Hausarbeit wert. Außerdem war die Witwe in letzter Zeit nicht mehr ganz so gut zu Fuß. Sie verschwand zunehmend häufig im Keller, um mit ihrem Sohn in Frankfurt zu korrespondieren, was dazu führte, dass Alena den Berg an Arbeit allein bewältigen musste.
    Auch heute war das so. Obwohl Kartoffeln und Karotten darauf warteten, geschält zu werden, legte sie eine kleine Pause ein. Sie setzte sich und trank eine Tasse Tee mit Honig. Der heiße Aufguss tat ihr gut. Nur die Gedanken, die ihr unweigerlich kamen, wenn die Arbeit sie nicht ablenkte, waren nicht angenehm. Noch immer glaubte sie, das Medaillon, den Beweis für Abrahams Untreue, wie Feuer in der Hand zu spüren. Wenn er wenigstens seine Schuld eingestanden hätte! Aber nein, er hatte alles abgestritten, hatte hoch und heilig versichert, die Bildkapsel sei ihm aufgedrängt worden, er habe sie keineswegs haben wollen und so weiter. Und je länger Abraham nach Ausflüchten gesucht hatte, desto wütender war sie geworden. Für wie dumm hielt er sie eigentlich?
    »Dann werde doch glücklich mit deiner Henrietta!«, hatte sie am Ende gerufen, war aus dem Hospital gestürzt, nach Hause gelaufen und hatte sich am großen Busen von Mutter Vonnegut ausgeweint.
    Eigentlich hatte sie das Hospital nie wieder betreten wollen, aber der Todesfall von Burck war natürlich etwas anderes gewesen, und überdies hatte sie ihrer Mission als Klagefrau gerecht werden müssen. Mehr nicht. Mit Abraham hatte das nichts zu tun.
    Er konnte dahin gehen, wo der Pfeffer wuchs.
    Aber was sollte aus ihr werden? Sie konnte doch nicht bis in alle Ewigkeit bei der Witwe Vonnegut bleiben?
    Alena legte die Hand auf ihren Leib. Und was war, wenn sie wirklich ein Kind unter dem Herzen trug?
    Daran durfte sie gar nicht denken.
    Draußen wurde der Türklopfer betätigt. Alena schreckte aus ihren Gedanken auf und ging zur Eingangstür. Wahrscheinlich wollte irgendein Hausierer etwas verkaufen. Tönerne Ware oder Leinen. Vielleicht auch Walnüsse oder Dörrobst oder Salz. Apfelmus, Butter und Eier wurden ebenfalls gern angeboten. Das meiste von alledem war auf dem Markt billiger, was manche der fahrenden Händler aber hartnäckig leugneten. Am besten, man wimmelte sie ab, indem man sie fragte, ob sie einen Hausierschein hätten. Das wirkte in aller Regel Wunder.
    Alena öffnete die Tür und machte ein abweisendes Gesicht. »Ja?«
    »Guten Morgen.« Vor ihr stand ein junger
Bursche
in einem grauen Kamelott mit tizianroten Aufschlägen, weißen engen Hosen und schwarzen Schaftstiefeln.
    Das konnte kein Hausierer sein.
    »Ihr seid sicher Alena. Ich bin … Henrietta.«
    Einem ersten Impuls folgend, wollte Alena die Tür zuschlagen, aber Henrietta sagte hastig: »Ich habe lange gezögert, ob ich mit Euch sprechen soll. Ihr müsst einen großen Zorn auf mich haben. Aber es ist wichtig.«
    »Was kann so wichtig sein, dass Ihr Euch in eine Ehe einmischt?«
    »Ich liebe Julius.«
    »Ich höre wohl nicht recht?«
    »Doch, es ist so. Gleich beim ersten Mal, als ich ihn sah, wusste ich es.«
    »Dann liebt ihn nur weiter …«
    »Es war am Albaner Tor, wo er eine Vorstellung mit seinen Puppen gab. Ich habe dagegen angekämpft, glaubt mir, denn natürlich sah ich den Altersunterschied. Auch fand ich schnell heraus, dass er verheiratet ist, aber alle klugen Gedanken nützten mir nichts, sie kamen nicht an gegen das, was mein Herz empfand.«
    »Ich denke, das genügt …«
    »Von Stund an suchte ich seine Nähe, erfand Vorwände, um ihn zu sehen, überredete ihn, mit mir zum
Schnaps-Conradi
zu gehen, zu dieser schrecklichen Fuselhöhle, obwohl ich Alkohol gar nicht mag.« Henrietta machte eine hilflose Geste. »Verzeiht mir, das Gefühl ist übermächtig. Es ist so rein und groß, dass es durch jedes Drumherumreden in den Schmutz gezogen würde. Bitte glaubt mir, zwischen uns ist nie etwas Ernsthaftes geschehen, obwohl ich es mir manchmal anders gewünscht hätte. Ich liebe ihn wirklich.«
    Alenas Augen funkelten. »Dann nehmt ihn Euch doch! Ihr könnt ihn haben. Er

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