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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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aber nicht ganz. Er spürte einen Schmerz an der linken Schläfe. Helle Wut wallte in ihm auf. Dieser kleine, miese Hundsfott! Er trat einen Schritt zurück zur Treppe und sagte mühsam beherrscht: »Als
Studiosus
der Georgia Augusta bist du nicht der Göttinger Gerichtsbarkeit unterstellt, sondern wirst das Urteil des Prorektors und der Kommission abwarten. Gib deine Tat zu und folge mir freiwillig. Ich bringe dich zum Pedell der Universität.«
    Abraham war bei seinen letzten Worten für einen Augenblick unachtsam, von Zwickows Faust schoss unvermittelt ein zweites Mal hervor und traf ihn auf den Mund. Ein Schmerz wie eine Explosion zerbarst in seinem Gesicht. Benommen taumelte er nach hinten, konnte sich gerade noch fangen, um nicht die Treppe hinunterzustürzen, taumelte wieder nach vorn und spürte den nächsten Stoß, der ihn die Engel im Himmel singen hören ließ. Von Zwickow hatte ihm in den Unterleib getreten. Abraham sank auf die Knie. Er war benommen, aber noch bei Sinnen. Er würde nicht aufgeben. Er hatte schon manchen Kampf auf den Landstraßen dieser Welt bestehen müssen, und er wusste, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt alle Regeln des Anstands nicht mehr galten. Und dieser Zeitpunkt war gekommen. Es galt nur noch eines: siegen oder untergehen.
    Seine helle Wut wich kalter Entschlossenheit. Den zweiten Tritt, den von Zwickow anbringen wollte, fing er ab, seine Fäuste umschlossen den Fuß wie ein Schraubstock und drehten ihn mit großer Kraft, so dass von Zwickow gar nicht anders konnte, als ebenfalls zu Boden zu gehen. Er strampelte und trat dabei weiter nach Abraham, aber dieser hielt den Fuß eisern fest, während er sich langsam wieder aufrichtete. Der Kampf hatte eine Wendung genommen. Nun stand Abraham, und von Zwickow lag ihm zu Füßen.
    »Sag, dass du es warst«, keuchte Abraham.
    »Niemals, Hosenscheißer!«
    Abraham begann den Fuß weiter zu drehen, es knackte vernehmlich, so dass von Zwickow sich wohl oder übel am Boden mitdrehen musste. Endlich schien er sein dreistes Mundwerk verloren zu haben, denn er begann zu wimmern und zu klagen.
    »Sag, dass du es warst!«
    »Nein, du verfluchter …!«
    »Sag es!«
    »Ja, in Gottes Namen, ja!«
    »Sag es noch einmal.«
    »Ja, verdammt noch mal!«
    Abraham ließ von Zwickow schwer atmend los und richtete sich auf. Mund, Genitalien und auch die Schulter schmerzten ihn höllisch. Doch er war am Ziel. Der Kerl hatte endlich gestanden. Der rätselhafte Mord an dem armen Burck war gelöst. »Mach mir keine weiteren Scherereien,
Bursche,
und komm mit«, sagte er. »Ich gehe vor, und du kommst mir nach. In dieser Reihenfolge. Sonst reißt du mir noch aus, und das wollen wir doch nicht, oder?«
    Abraham schickte sich an, die steile Stiege rückwärts hinunterzusteigen. Für einen Moment richtete er seine Aufmerksamkeit auf die hinunterführenden Stufen, und diesen Moment nutzte von Zwickow heimtückisch aus.
    Er stürzte sich voller Wut auf den abgelenkten Abraham, bespuckte ihn und trat mit aller Kraft zu. Sein erster Tritt erwischte Abrahams Brustkorb, der zweite ging ins Leere, denn Abraham hatte sich zur Seite geworfen. Eine folgenschwere Reaktion, denn sie sollte von Zwickow zum Verhängnis werden. Vom Schwung des eigenen Tritts mitgerissen, verlor er das Gleichgewicht, stürzte die Treppe hinunter und fiel mit voller Wucht in das abgesplitterte Geländerstück. Ein gutturaler Laut entrang sich seiner Kehle. Dann ruderten nur noch seine Arme und Beine.
    Abraham, der einiges gewohnt war, musste an sich halten, damit ihm nicht schlecht wurde, denn – so makaber der Vergleich auch schien – von Zwickow war aufgespießt worden wie ein Schmetterling.
    Er hastete hinunter zu seinem Widersacher. Nur kurz besah er sich die blutige Geländerspitze, die aus dem Rücken herausragte, dann stand es für ihn fest.
    Von Zwickow würde nur noch wenige Atemzüge zu leben haben.

[home]
    Von dannen Er kommen wird,
zu richten …
    E s war zehn Uhr am Vormittag des nächsten Tages, als Alena die Küche so weit aufgeräumt hatte, dass sie einen Augenblick verschnaufen konnte. Die Hausarbeit war eine ewige Wiederholung von immer denselben Handgriffen: Vorbereitungen für das Frühstück, danach Spülen und Abtrocknen der Teller und Bestecke, danach Kochen des Mittagessens, danach erneutes Spülen und Abtrocknen der Teller und Bestecke, danach Herrichten des Abendessens, danach zum dritten Mal Spülen und Abtrocknen der Teller und Bestecke. Und zwischendurch fielen

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