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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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collegiales …«
    Abraham spähte weiter in die Runde. Es war nicht leicht, die einzelnen Zecher zu erkennen, denn er blickte von der Stirnseite der Tische auf das Geschehen, so dass die
Burschen
an den langen Seiten einander verdeckten. War von Zwickow womöglich gar nicht da?
    »Trinkt nach Gefallen, bis ihr das Fingerlein leckt,
    dass keiner von allen in den Arsch ihn sich steckt.
    Edite, bibite collegiales …
     
    Holla, ihr Weiber, in Gottes weitem Erdenrund,
    her eure Leiber, Fotz’ oder Mund.
    Edite, bibite collegiales …«
    Abraham stellte fest, dass die Sprache zunehmend obszön wurde. Ein kräftiger Kerl sprang auf einen der Tische, wankte einen Augenblick, weil er stark angetrunken war, und schwenkte sein Glas im Kreis. Es war von Zwickow. Er sah schon recht
derangirt
aus, weshalb Abraham ihn zunächst nicht erkannt hatte.
»Silentium!«,
brüllte er. »Ruheee! Hat jeder was im Becher? Es geht los!« Er ließ sein Biergefäß den Körper hinauf- und hinabwandern, und das gesamte Corps machte es ihm nach:
    »Vom Hoden
    zum Boden,
    zur Mitte,
    zur Titte,
    zum Sack,
    zack …!
    Prost, ihr Säcke!« Von Zwickow nahm einen langen Zug und stieg vom Tisch herab, torkelnd und fast zu Boden fallend. Er landete zwischen seinen Kameraden, die ihn lachend auffingen und wieder aufstellten. Als er die
Contenance
wiedergefunden hatte, blinzelte er und machte große Augen. Wie aus dem Boden gewachsen stand Abraham neben ihm.
    »Hupps, das ist aber eine Überraschung«, brachte er hervor.
    »Wie du siehst, bin ich doch gekommen. Aber nicht, um mich mit dir zu duellieren.«
    »Feigling, Schwanzeinklemmer!«
    Beim Stichwort Duell wurden die anderen
Burschen
hellhörig. Die Auseinandersetzung mit scharfen Waffen war immer eine spannende Sache und umso aufregender, je mehr Blut dabei floss.
    »Wie gesagt, ich kämpfe nicht.« Abrahams Worte hatten die Schärfe eines Rasiermessers. »Aber ich habe mit dir zu reden.«
    »Was hast du mir schon zu sagen, Hosenpisser. Wenn du nicht kämpfen willst, pack dich.«
    Gelächter bei den Umsitzenden. Abraham musste an sich halten, damit ihm nicht die Hand ausrutschte. »Was ich mit dir zu bereden habe, ist nicht für andere Ohren bestimmt. Komm mit hinaus.« Er machte eine Pause und setzte dann hinzu: »Oder hast du etwa Angst?«
    Das gab den Ausschlag. Langsam stellte von Zwickow seinen Bierkrug auf dem Tisch ab und sagte mit überraschend klarer Stimme: »Wartet, Freunde, ich muss diesem Hanswurst nur rasch das Maul stopfen.« Dann folgte er Abraham zum Ausgang.
    Auf dem schmalen Treppenabsatz vor der obersten Stufe drehte Abraham sich um, ließ von Zwickow an sich vorbei und machte den Nachdrängenden die Tür vor der Nase zu. »Geht wieder zurück auf eure Plätze,
Burschen,
hier gibt es nichts zu sehen. Wir werden nur reden. Euer Freund ist gleich wieder da.«
    »Das stimmt«, sagte von Zwickow. »Es wird nicht lange dauern.« Er ballte die Fäuste, um auf Abraham loszugehen, aber dieser hielt ihn mit dem ausgestreckten Arm mühelos auf Abstand. »Lass das. Die Lust, dir dein Mütchen zu kühlen, wird dir gleich vergehen. Du bist in den letzten Tagen mehrfach nachts in Professor Richters Hospital eingedrungen und hast versucht, einen meiner Patienten zu töten. Erst letzte Nacht wieder, nachdem ich dich fast erwischt hätte. Du besaßest die Dreistigkeit, zurückzukommen, und hast deinen perfiden Plan wahrgemacht. Burck, der Bergmann, ist tot. Von deiner Hand gemeuchelt. Nun, was sagst du dazu?«
    Von Zwickow musterte Abraham, als sei dieser ein seltenes Tier in einer Menagerie. Plötzlich begann er zu lachen. Er bog sich vor Lachen, prustete vor Lachen. Dann wurde er abrupt wieder ernst. »Die dummen Witze werden dir nichts nützen, Hosenscheißer. Ich werde …«
    »Halt den Mund«, fuhr ihm Abraham in die Parade. »Und erkläre mir lieber, wie es passieren kann, dass jemand an einem verdrehten Kopf stirbt. Du bist doch Mediziner.«
    Es fehlte nicht viel, und von Zwickow hätte wieder gelacht. Doch er beherrschte sich, sein Gesicht nahm abermals den gewohnten arroganten Ausdruck an. »Du faselst dummes Zeug, Angsthase, was habe ich mit verdrehten Köpfen oder Richters Hospital zu schaffen? Nimm die Fäuste hoch, oder willst du, dass ich dir so eine reinschlage?«
    »Gib zu, dass du der Mörder bist. Steh dazu.
Noblesse oblige,
heißt es doch so schön. Oder bist auf einmal du der Jammerlappen von uns beiden?«
    Von Zwickow schlug unvermittelt zu. Abraham konnte ausweichen,

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