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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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jedem Fall eines: Das Leben geht weiter. Auch das Leben des Julius Abraham.«
    »Danke, Herr Professor.« Abraham verbeugte sich. »Ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen.«
    »
Adieu,
Abraham.«
     
     
    Er schaffte es, trotz der Wirkung des Alkohols einigermaßen geraden Schrittes zum Hospiz zurückzugehen, und stellte dort mit Schrecken fest, dass es schon halb drei am Morgen war. Die Uhr in Hasselbrincks Büroraum zeigte es. Der Krankenwärter selbst war wie so häufig über seinen Büchern eingeschlafen. Abraham beschloss, ihn in Morpheus’ Armen zu lassen, nahm eine Laterne und steuerte müde den ersten Stock an. Er sehnte sich selbst nach Schlaf. Doch vor der Tür zu seiner Stube hielt er inne und überlegte es sich anders. Er wollte noch einen kurzen Blick in den Patientensaal werfen. Wie erwartet, lagen Pentzlin und Gottwald in ihren Betten, stocksteif und scheinbar seelenlos wie immer. Abraham trat näher und hielt ihnen die Laterne ins Gesicht.
    Und dann sah er es.
    Gottwald lag da mit völlig verdrehtem Kopf.

[home]
    Von dannen Er kommen wird,
zu richten die …
    A m Sonntagnachmittag hatte Margarethe Kellner alle Hände voll zu tun, um die Gäste ihres nicht angetrauten Mannes mit leiblichen Genüssen zu versorgen. Die Gäste, das war ein illustrer Kreis Göttinger Professoren, der sich regelmäßig privat traf, um zu plaudern, Whist zu spielen oder auch ein Picknick auf dem Kerstlingeröder Feld vor der Stadt zu veranstalten. In jedem Fall jedoch wurden fakultätsübergreifend Neuigkeiten ausgetauscht.
    Neben dem Gastgeber waren an diesem Tag sieben Herren anwesend, deren Geist und Temperament die Vielfalt ihrer Professionen widerspiegelte. Zuerst war wie immer Christian Gottlob Heyne erschienen, Professor für Rhetorik und Altphilologe, der neben seinem Lehrauftrag die wichtige Aufsicht über die Universitätsbibliothek innehatte.
    Dann waren in bunter Reihenfolge die anderen Herren eingetroffen: August Ludwig von Schlözer, Professor für Geschichte, der neben seinen erworbenen
Meriten
auch eine Tochter namens Dorothea sein Eigen nannte, der vor zwei Jahren anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Georgia Augusta als erster Frau Deutschlands die Doktorwürde verliehen worden war, nachdem sie sich zuvor ihr Wissen autodidaktisch angeeignet hatte.
    Außerdem Johann Stephan Pütter, Professor für Rechtswissenschaft und Geheimer Justizrat, der sich dadurch auszeichnete, dass er seine Vorlesungen ausschließlich auf Deutsch und in sehr lebhaftem Stil hielt.
    Der Nächste war Abraham Gotthelf Kaestner, Professor für Mathematik und Physik, der Senior unter den Anwesenden, der schon Lichtenberg zu seinen Schülern gezählt hatte.
    Es folgte August Gottlieb Richter, Professor für Medizin und Chirurgie, ein ausgewiesener Spezialist in der Augenheilkunde und im Starstich, dem das Hospital am Geismartor seine Gründung verdankte.
    Sodann kam Gottlieb Christian Schildenfeld, Doktor der Anatomie und Gastprofessor, der den von ihm beschriebenen Fischvogelsäuger, auch Schnabeltier genannt, als Erster wissenschaftlich untersucht und beschrieben hatte.
    Und zuletzt erschien Justus Friedrich Runde, Professor der Jurisprudenz, seines Zeichens Prorektor und oberste Instanz der Georgia Augusta. Er war, wie üblich, für ein halbes Jahr in dieses Amt gewählt worden und würde es am zweiten Juli des gleichen Jahres wieder abgeben. Rundes Entscheidungen als Prorektor waren bindend und konnten nur von Georg  III ., dem König von England und eigentlichem Rektor, höchstselbst rückgängig gemacht werden. Eine Intervention, die allerdings noch niemals vorgekommen war.
    Die Professoren Wrisberg und Blumenbach hatten sich entschuldigen lassen. Wrisberg, weil ein eiternder Zahn ihm Verdruss bereitete, Blumenbach, weil er sich auf einer London-Reise befand, um sich mit Sir Joseph Banks, einem weltbedeutenden Botaniker, auszutauschen.
    Alle Herren saßen an einem großen, ovalen Mahagonitisch, tranken Wein oder Bier oder auch Kaffee, rauchten Pfeife und sprachen zwischendurch der opulenten Flott-Torte zu, einer lukullischen Köstlichkeit aus Hefeblätterteig, eingekochten Schattenmorellen und saurem Flott. Lichtenberg war der Einzige, der sich in allem etwas zurückhielt – einerseits, weil ihm die vergangene Nacht noch in den Knochen steckte, andererseits, weil er am Morgen wieder einen seiner krampfartigen Asthmaanfälle gehabt hatte. Vielleicht hing beides auch zusammen.
    »Nun, mein Guter«, sagte Kaestner

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