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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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vergnügt-vertraut, »habt Ihr gestern Abend wieder hoheitlich gesoffen? Die prinzlichen Lebern müssen geschont werden, sag ich Euch, sonst kriegen wir Ärger mit Seiner Majestät in London.«
    Lichtenberg antwortete säuerlich: »Die jungen Herren halten sich wacker beim Bier. Man könnte glauben, ihre Lebern wären aus Papiermaché, so saugen sie den Gerstensaft auf.«
    »Papiermaché?«, fragte Pütter, sich ein großes Stück Torte in den Mund schaufelnd. »Was ist das denn nun wieder?«
    »Ein Gemisch aus Papier und Kleister, aus dem sich Skulpturen und Ähnliches anfertigen lassen. In England sind Verzierungen aus dem Zeug so in Mode gekommen, dass man, glaube ich, in nicht allzu ferner Zukunft Denkmäler in Westminster Abbey davon machen wird. Überhaupt wäre der Gedanke nicht übel, wenn mancher Gelehrte seine Schriften zu Makulatur stampfen und daraus eine Büste verfertigen ließe – meinetwegen sogar seine eigene.«
    »Hoho, Lichtenberg.« Richter lachte. »Ich nehme an, Eure letzte Bemerkung gilt nicht für die Elaborate der Anwesenden? Aber um auf die Lebern zurückzukommen: Vielleicht bin ich nicht der Richtige, in dieser Hinsicht Moral zu predigen, doch eine Steinleber ist schneller erworben, als man denkt.«
    Lichtenberg bediente sich aus einer dreibeinigen Kaffeekanne, trank einen Schluck und sagte abweisend: »Die mir anbefohlenen Prinzen gingen gestern zeitig genug zu Bett.«
    Von Schlözer fragte grinsend: »Wollt Ihr damit sagen, Ihr habt Euch den ganzen Abend selbst zugeprostet? Das wäre wahrlich ein Tag, der in die Geschichte eingehen würde.«
    Lichtenberg wollte antworten, dass er mit Abraham zusammengesessen habe, besann sich aber eines Besseren, weil es ihm verfrüht erschien, den Namen schon zu erwähnen. Stattdessen sagte er: »Ich habe mir nicht selbst zugeprostet, aber ein paar Fatrasien deklamiert. Mit einigem Erfolg, wie ich in aller Bescheidenheit hinzufügen darf. Ich …«
    »Haben die Herren auch alles?«, wurde er von Margarethe unterbrochen. Seine nicht eheliche bessere Hälfte war an den Tisch herangetreten und blickte fragend in die Runde. Die Anwesenden blickten zurück und bejahten freundlich. Margarethe war, nach allem, was man wusste, keine Frau von Stand, vielmehr hatte sie vor ihrem Zusammenleben mit Lichtenberg den Beruf der Wäscherin ausgeübt. Manche behaupteten auch, sie sei Näherin gewesen. Wieder andere waren der Meinung, sie hätte sich als Tabakspinnerin durchs Leben geschlagen. Doch abgesehen von all diesen Spekulationen, war Margarethe ein hübsches rund- und rosiggesichtiges Weibsbild, dessen natürliche Freundlichkeit jedermann für sich einnahm.
    »Wie es aussieht, haben alle, was sie brauchen, meine Liebe«, sagte Lichtenberg. »Ich erzähle den Herren gerade, dass ich am gestrigen Abend im
Schnaps-Conradi
einige Fatrasien vorgetragen habe.«
    »Dann will ich nicht weiter stören.« Margarethe hatte verstanden und verschwand.
    Lichtenberg fühlte sich, vielleicht durch die anregende Wirkung des Kaffees, etwas wohler und sagte: »Wenn die Herren Interesse haben, bin ich gern bereit, ein paar weitere Verse vorzutragen:
    Ein Würfel mit neun Punkten
    presst derart seine Fäuste,
    dass ein Ochse herausspringt.
    Ein zusammengenähter Fischteich
    war schwer beleidigt …«
    »Gnade!«, flehte Schildenfeld. »Immer, wenn wir die Gastfreundschaft Eurer verehrten Frau Margarethe genießen dürfen, gießt Ihr eine Portion Wermut dazu.«
    »Aber wieso?«, entrüstete sich Lichtenberg mit einem Augenzwinkern, »Ihr als Namensgeber des Fischvogelsäugers, einer Nomenklatur der immanenten Unlogik, wie Ihr zugeben werdet, müsstet diese Verse doch lieben?«
    Noch ehe Schildenfeld etwas erwidern konnte, hatten andere den Part für ihn übernommen. »Lichtenberg«, erklang es von allen Seiten, »bei aller gebotenen Höflichkeit dem Gastgeber gegenüber – verschont uns mit Euren Fatrasien und Fantastereien. Wir wissen, dass sie ihren Ursprung im nordfranzösischen Arras haben, wir wissen, dass sie aus dem dreizehnten Jahrhundert stammen, und wir wissen ebenfalls um ihre erstaunlichen Gesetzmäßigkeiten. Gibt es nichts anderes, das der Rede wert wäre?«
    Lichtenberg musste an sich halten, um nicht zu kichern. Es bereitete doch immer wieder Freude, seine ehrenwerten Gäste ein wenig aus ihrer Behäbigkeit zu locken. »Nun«, sagte er, »ich habe beim
Schnaps-Conradi
läuten hören, dass einige der
Burschen
wieder Ärger mit den Schreinergesellen hatten. Da

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