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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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allem Pfaffengeschmiere, das vollkommenste System sein kann, Ruhe und Glückseligkeit zu erwerben.« Wieder nahm er einen kräftigen Schluck aus seinem Weinglas und fuhr, einmal in Fahrt, fort: »Die Bibel ist das beste Not- und Hilfsbüchlein, das je verfasst worden ist, doch sie ist ein Buch, von Menschen geschrieben.«
    »Wie Ihr meint, Herr Professor.«
    »Und jetzt hört einmal weg, ihr jungen Herren, denn eurem Vater, Seiner Majestät, dem König von England, wäre diese Rede wohl nicht recht. Ich sag’s aber trotzdem: Dass in einem Buch steht, es sei von Gott, ist noch kein Beweis, dass es auch von Gott ist. Da mögen die Theologen mit ihrem
Muckertum
ein noch so großes Geschrei erheben.«
    »
Yes,
Sir.«
    »Das musste mal von der Leber herunter.« Lichtenberg atmete durch und fixierte dann Abraham. »Ihr seid sicher nicht nur gekommen, um Euch nach meinem Befinden zu erkundigen oder um meine Einstellung zum lieben Gott zu erfahren. Was die Sache von heute Nacht angeht, so will und darf ich mich dazu nicht äußern. Nur so viel: Ihr habt Feinde, aber auch Freunde, mein lieber Abraham. Es wird darauf ankommen, welche Seite auf der Schlachtbank siegt. Euch bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten. Doch in dieser Zeit solltet Ihr beten und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, so Ihr an ihn glaubt. Prosit!«
    Während Lichtenberg doziert hatte, waren von ihm weitere Gläser geordert worden. Abraham trank zögernd. »Prosit, Herr Professor.« Es war schon sein drittes Glas, und der Alkohol machte sich allmählich bemerkbar. Er suchte nach einem Übergang zu dem Thema, das ihn bewegte, brachte schließlich aber nichts anderes hervor als: »Die Arbeit mit dem Elektrophor war sehr interessant.«
    »Und? War sie auch erfolgreich?«
    Abraham berichtete von den kleinen Fortschritten bei Pentzlin und Gottwald und musste dann wohl oder übel einräumen, dass Burck gestorben war.
    »Ihr scheint die Toten anzuziehen, Abraham. Verzeiht, ich wollte nicht witzeln. Dafür ist die Sache zu ernst.«
    »Meine Frage an Euch ist: Was passiert, wenn ich mittels stärkerer Reibung an dem unteren geerdeten Teil dafür sorge, dass später die positiven und negativen Spannungen höher werden? Ich meine, viel höher?«
    Lichtenberg schwieg einen Moment. Fast glaubte Abraham, er hätte nicht zugehört, denn seine Augen verfolgten Hilda, die mit gekonntem Hüftschwung an ihm vorbeisteuerte und am Nachbartisch neue Bierkrüge absetzte. Doch dann sagte er: »Ich bin ein Mathematikus und ein Physikus. Wenn Ihr wollt, sogar ein Experimentalphysikus, mein lieber Abraham, und deshalb kann ich Euch nur die Antwort geben, die von der Naturwissenschaft bereitgehalten wird.«
    »Und die wäre, Herr Professor?«
    »Die Antwort ist: Schnellere Reibung erzeugt stärkere Ladungen und stärkere Ströme und somit auch stärkere Funken. Inwieweit dieses Phänomen eine Verbesserung der Rekonvaleszenz Eurer Patienten herbeiführen kann, müsst Ihr als Arzt selbst herausfinden. Doch möchte ich Euch warnen. Je näher der menschliche Körper an den Funken gerät, desto größer ist die Gefahr von Verbrennungen. Seid deshalb besonders vorsichtig. Ich vermute, dass um den Funken herum unsichtbare Kraftlinien existieren, ähnlich wie um einen Magneten, dessen Kraftfelder wir durch Eisenspäne sichtbar machen können. Doch wir verstehen die Gesetzmäßigkeiten noch nicht. Es muss wohl noch viel Wasser die Leine hinabfließen, bis es so weit ist.«
    »Danke, Herr Professor. Ich werde mich an Euren Ratschlag halten und Euch gern bei Gelegenheit meine Protokolle über die Experimente zukommen lassen.«
    »Das würdet Ihr tun?« Lichtenberg schien sichtlich erfreut. »Hilda! Wein, schnell!«
    Abraham wehrte ab. »Herr Professor, ich möchte wirklich nicht …«
    »Ach was, natürlich möchtet Ihr. Seid froh, dass Ihr es dürft. Meine drei
Burschen
dürfen nämlich nicht mehr, anderenfalls würde ihr Vater mich in den Tower werfen. Verstanden, Herrschaften?«
    »
Yes,
Sir.« Die Bestätigung klang nicht sehr begeistert.
    Lichtenberg und Abraham tranken. Abraham unterdrückte ein Aufstoßen und sagte: »Ich habe noch eine zweite Frage an die Naturwissenschaften, Herr Professor.«
    »Da seid Ihr bei mir an der richtigen Adresse. Nur heraus damit.«
    »Kann durch übermäßige Entladungskraft der Tod von Burck eingetreten sein?«
    Wieder wog Lichtenfeld seine Antwort ab. Dann sagte er: »Wenn Ihr eine Fliege in den Funken haltet, wird sie sterben. Wenn sie

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