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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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schwelt was, meine Herren. Es soll im
Drei Lilien
gewesen sein, wo sie sich in die Haare gekriegt haben. Ein paar Quetschungen und blaue Augen sind dabei wohl herausgesprungen. Später sollen die
Burschen
noch das Schreinerschild an der Schreinerherberge niedergerissen haben. Alles in allem ein unangenehmer Vorgang.«
    Runde, der Prorektor, der bisher geschwiegen hatte, sagte: »Wenn das unsere einzige Sorge wäre, meine Herren, wäre das Ganze ja noch harmlos zu nennen. Ihr wisst, dass es einen viel unangenehmeren Vorgang gegeben hat.«
    Die Herren nickten und verstummten.
    »Ich spreche von den Ereignissen auf dem Fechtboden der Pommeraner. In der Nacht zum Samstag ist dort der
Studiosus
von Zwickow zu Tode gekommen, und zwar im Verlauf einer Auseinandersetzung mit unserem ältesten
Philistranten,
dem angehenden
Doctorus medicinae
Julius Abraham.«
    Die Herren nickten abermals, sie hatten das Thema wohlweislich nicht angesprochen, da es von heikler Natur war. Studenten, die im Kampf gegeneinander zu Tode kamen, wurden schnell Gesprächsthema in der Stadt und trugen nicht gerade zur Reputation der Universität bei.
    »Wie ist es denn passiert?«, fragte Heyne.
    Runde räusperte sich und tippte die Fingerspitzen aneinander. »Bisher gibt es zu dem Vorfall nur die Aussagen von drei Pommeranern. Sie behaupten, Abraham hätte von Zwickow auf dem Fechtboden provoziert und dann aufgefordert, ihm nach draußen zu folgen. Dort hat er, wie sie Fockele gegenüber versicherten, von Zwickow gewaltsam auf ein abgebrochenes Geländerstück gespießt, woraufhin dieser nach wenigen Augenblicken jämmerlich verschied.«
    »Das glaube ich nicht«, rief Richter. »Ich kenne Abraham. Der tut so etwas nicht, das ist ein besonnener Mann.«
    »Der früher allerdings ein Gaukler war und zum fahrenden Volk gehörte«, wandte von Schlözer ein. »Wie man hört, hat er sogar vor nicht allzu langer Zeit am Albaner Tor eine Puppenvorstellung gegeben und dabei schmutzige Witze erzählt. Und das als
Studiosus
unserer Universität!«
    »Er ist ein exzellenter Arzt.«
    »Er ist noch nicht einmal promoviert, Herr Kollege. Ich bin zwar kein Jurist, aber ich könnte mir vorstellen, dass es rechtliche Probleme gibt, wenn ein
Philistrant
wie Abraham das Hospiz am Geismartor leitet. Besonders dann, wenn einer der Patienten unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt, wie gerade geschehen.«
    »Das gehört nicht hierher«, antwortete Richter schärfer, als es sonst seine Art war. »Ich habe die Aufsicht über das Hospital, verehrter Herr Kollege, und Abraham ist nur mein ausführendes Organ. Im Übrigen haben Menschen nun mal die Eigenschaft zu sterben, auch wenn wir Mediziner die Ursache nicht immer erkennen können.«
    »Aber meine Herren, bitte.« Runde hob besänftigend die Hände. »Wir wollen doch nicht streiten.«
    Pütter, ganz Jurist, fragte: »Waren die drei Zeugen denn bei dem Kampf zugegen?«
    »Sie behaupten es«, antwortete Runde.
    »Ist Abraham denn schon angehört worden?«, hakte Pütter nach, während er an seinem Kaffee nippte. »Ich meine, man spießt seinen Gegner doch nicht so einfach auf einem Geländerstück auf?«
    »Abraham wird noch vernommen werden«, sagte Runde. »Ich habe ihn unter Arrest stellen lassen. Er darf Göttingen nicht verlassen.«
    »Wird das Universitätsgericht offiziell Anklage erheben, Runde?«, fragte Lichtenberg.
    »Ich fürchte, wir kommen nicht darum herum. Es ist ein schwerer Fall, das heißt, auch die Dekane der vier Fakultäten werden mit auf der Richterbank sitzen müssen.«
    »Dann schießt Ihr womöglich mit Kanonen auf Spatzen. Ein Donnerhall wird über Göttingen liegen, und wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, wird der Ruf der Georgia Augusta ein Trümmerhaufen sein. Im Übrigen soll dieser von Zwickow einer von jener Sorte sein, die anderen Salzgurken in die Hose steckt – gelinde gesagt.«
    Schildenfeld wedelte mit dem Zeigefinger. »Aber Recht muss Recht bleiben! Immerhin ist ein Toter zu beklagen.«
    Von Schlözer hieb in die gleiche Kerbe: »Wir kommen in Teufels Küche, wenn wir die Angelegenheit unter den Teppich kehren. Die Familie des Verstorbenen ist sehr einflussreich.«
    »Das sind andere Familien auch.« Lichtenberg grinste. »Da wo das meiste Geld sitzt, sitzt auch der meiste Einfluss.«
    »Vielleicht war es Notwehr?«, vermutete Pütter.
    Kaestner, der Senior, mischte sich ein: »Wenn von Zwickow auf ein Geländerstück gespießt wurde, hat es am Ort des Kampfes vermutlich eine

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