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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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die Treppe hinunterstießet.«
    »Nein, euer Exzellenz.«
    »Nein?«
    »Es ist allein mein Körper, der Spuren des Kampfes aufweist, bei von Zwickow wird man solche nicht finden, denn ich habe ihn weder getreten noch geschlagen.«
    »Das behauptet Ihr.«
    »Die Untersuchung des Toten wird meine Behauptung bestätigen.«
    Runde faltete die Hände und ließ die Daumen umeinander kreisen. Ein Zeichen dafür, dass er stark nachdachte. »Bei einem heftigen Kampf ist es höchst unwahrscheinlich, dass nur ein Kämpfer Blessuren davonträgt. Ihr, Abraham, seht mir nicht danach aus, als würdet Ihr Euch nach einem Hieb auch noch bedanken.«
    »Das mag sein, Euer Exzellenz, aber ich habe meinem Gegner den Fuß umgedreht, nachdem er mir gegen den Brustkorb getreten hatte. Daraufhin ging er zu Boden. Als ich losließ und er sich wieder auf mich stürzen wollte, wich ich aus. So fiel er die Treppe hinunter. Das geborstene Geländer war dann leider im Weg.«
    »In der Tat, in der Tat, so mag es gewesen sein. Falls Ihr die Wahrheit sagt. Nun, das lässt sich nachprüfen. Die Leiche des von Zwickow befindet sich zurzeit im Anatomischen Theater. Ich werde Professor Wrisberg bitten, den Toten akribisch auf Kampfspuren an Kopf und Körper zu untersuchen. Sollte er nichts finden, will ich Euch glauben – und dem Universitätsgericht empfehlen, von einer Verhandlung abzusehen. Bis dahin seid Ihr weiter auf freiem Fuß.« Rundes Daumen kamen zum Stillstand.
    Abraham strahlte. »Dies scheint, allem Anschein zum Trotz, doch ein guter Tag für mich zu sein.«
    Runde nickte grimmig. »Für Euch vielleicht. Für die drei Herren, die diese eidesstattlichen Erklärungen abgegeben haben, weniger. Sie werden viele Fragen zu beantworten haben. Ich wusste doch, dass es – so oder so – ein unangenehmes Gespräch werden würde.«
    »Jawohl, Euer Exzellenz.«
    »Ihr könnt jetzt gehen.«

[home]
    Von dannen Er kommen wird,
zu richten
die Lebendigen …
    D ie Uhr der Johanneskirche zeigte ein Viertel nach fünf, als Abraham das Rathaus passierte und sich auf den Weg zurück zum Hospiz machte. Er ging beschwingten Schrittes, denn ganze Mühlsteine waren ihm vom Herzen gefallen.
    Im kleinen Krankenhaus angelangt, führte ihn sein erster Weg nach oben in den Patientensaal. Der Anblick, der sich ihm bot, machte alle Mühen, Sorgen und Ängste der vergangenen Tage wett: Pentzlin saß aufrecht im Bett und sah ihn an.
    »Guten Tag, Pentzlin«, sagte Abraham, wobei er sich bemühte, das Vibrieren in seiner Stimme zu unterdrücken. »Ich bin nicht ganz sicher, ob du weißt, mit wem du es zu tun hast?«
    »Nein, weiß ich nicht.« Pentzlin krächzte. Seine Stimmbänder mussten sich erst wieder an ihren Dienst gewöhnen.
    »Mein Name ist Julius Abraham. Ich leite dieses Hospital.«
    »Ach ja, der Professor hat’s erzählt.«
    »Weißt du, was in Bad Grund passiert ist und wie du hierhergekommen bist?«
    »Ja, weiß ich. Vom Professor.« Auf Pentzlins bleiches Gesicht legte sich ein Schatten.
    Abraham suchte nach Worten. Er war nicht sicher, ob Richter auch von Burcks und Gottwalds Tod berichtet hatte, mochte das Thema aber nicht anschneiden. »Wir sind sehr froh, dass wir dich durchgekriegt haben. Warst du schon auf?«
    »Bin ein paar Schritte gegangen, weil’s der Professor so wollte. Ging aber schlecht. Ein Alter hat mich gestützt.«
    »Hasselbrinck?«
    »Ich glaub, so hieß er.«
    »Hast du schon etwas zu essen bekommen?« Abraham setzte sich auf den Bettrand und griff automatisch nach Pentzlins Handgelenk. Der Puls war normal.
    »Nein. Dieser Hassel… sollte mir was bringen.«
    »Warte.« Abraham stand auf und ging hinunter, doch Hasselbrinck war nicht aufzufinden. Nach vergeblicher Suche betrat er die kleine Küche und sagte zu Hasselbrincks Frau: »Bitte seid so gut, und macht etwas Suppe für Pentzlin warm. Und bringt die Suppe mit einer Scheibe Brot nach oben.«
    »Gern, Herr Doktor.«
    »Wisst Ihr, wo Euer Mann steckt?«
    »Nein, Herr Doktor.«
    »Nun ja.« Abraham stieg wieder nach oben und nahm erneut am Bettrand Platz. Er sagte sich, dass es wahrscheinlich besser wäre, nicht allzu viele Fragen zu stellen, konnte aber nicht umhin, sich zu erkundigen, ob Pentzlin sich an irgendetwas nach dem Unfall im Bergwerk erinnern könne.
    »Kann ich nicht, tut mir leid.«
    »Keine Bilder, keine Geräusche, keine Gerüche, keine Schmerzen …?« Abraham merkte selbst, dass er seinen Patienten überforderte. »Vergiss die Fragen. Wahrscheinlich war es

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