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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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so, als ob du abends eingeschlafen und am Morgen aufgewacht wärst. Und dazwischen nichts geträumt hättest. Könnte das sein?«
    »Ja, ja, genau.«
    »Leidest du unter
Somnambulie?
«
    »Äh, wie?«
    »Es ist gut. Gleich kommt etwas Suppe. Hasselbrincks Frau wird sie dir bringen. Ach übrigens, wie steht es mit der Notdurft? Hast du schon …?«
    »Hab ich. Der Alte hat mir runtergeholfen. Die Beine sind noch wackelig.« Pentzlin grinste schief.
    »Das wird schon wieder. Ich schau nachher noch mal nach dir.« Abraham tätschelte Pentzlin aufmunternd den Arm und verließ den Saal. Er ging hinüber in seine Stube und setzte sich an den Schreibtisch. Das Buch
De caputitis aspera et venae
lag vor ihm. Er hatte es ausgeliehen, um es von der ersten bis zur letzten Seite durchzuarbeiten. Doch nach ein paar Seiten merkte er, dass er dazu nicht in der Lage war. Er musste ständig an den Verfasser des Werkes denken. Arminius Pesus.
    Der Name bereitete ihm körperliches Unbehagen. Er stand auf und schritt ruhelos in der kleinen Stube auf und ab. Der Abend und die kommende Nacht standen ihm bevor wie selten etwas in seinem Leben. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Aber er verspürte Angst.
    Schließlich blieb er stehen, atmete tief durch und nahm aus einer Schublade ein Fläschchen mit weißem Pulver. Es handelte sich um ein Sedativ. Die Arznei war nicht für ihn bestimmt, sondern für Pentzlin. Es war wichtig, dass der junge Bergmann in der kommenden Nacht tief und fest schlief.
    Er ging hinüber und sagte: »Guten Appetit, Pentzlin. Ich sehe, du hast die Suppe schon fast aufgegessen. Nimm auch etwas von dem Brot, das Hasselbrincks Frau dir dazugelegt hat.«
    »Jawohl.« Pentzlin legte den Löffel zurück in den Teller und griff nach dem Brotkanten, der auf der Bettdecke lag.
    »So ist es recht. Zu viel Suppe ergibt einen wässrigen Stuhl, da ist ein Bissen Brot genau das Richtige.« Abraham setzte sich zu Pentzlin und ließ unbemerkt den Inhalt des Fläschchens in die Suppe rieseln. Nachdem er sie umgerührt hatte, sagte er: »Neben dem feinen und dem groben haben wir hier in Göttingen das sogenannte Mittelbrot. Es erfreut sich bei Alt und Jung großer Beliebtheit wegen seines Geschmacks. Schmeckt es dir, Pentzlin?«
    »Ja, hm, danke.« Pentzlin kaute mit vollen Backen.
    »Ähnlich ist es mit der Göttinger Wurst. Sie ist über die Genzen hinaus bekannt für ihre köstliche Würze. Ich will sehen, dass du morgen ein Stück davon probieren kannst. Doch nun iss deine Suppe auf.«
    Abraham machte ein möglichst gleichgültiges Gesicht, während er Pentzlin den Rest der Suppe löffeln sah. Er hoffte, das Sedativ würde nicht allzu sehr durchschmecken. Doch seine Sorge war unbegründet. Pentzlin aß den Teller restlos leer, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
    »Du bist ein guter Esser, Pentzlin.«
    »Das sagt Mutter auch immer.«
    »Bald wirst du wieder Bäume ausreißen können.«
    Pentzlin lächelte geschmeichelt.
    Abraham ging hinüber in seine Stube, um die heutigen entscheidenden Fortschritte in Pentzlins Journal einzutragen, konnte die Krankenakte jedoch nicht finden. Wahrscheinlich hatte Richter sie mitgenommen. Er ging nach unten, um Hasselbrinck danach zu fragen, aber der Krankenwärter war immer noch nicht wieder im Haus. Doch da: Die Eingangstür knarrte in den Angeln, das musste er sein. »Hasselbrinck, ich …«, begann er und verstummte. Vor ihm stand Heinrich, wie immer tadellos als junger
Fuchs
gekleidet. Heinrich lächelte scheu. »Ich bin so froh, dich hier zu sehen. Bei dir ist ja eine ganze Menge passiert in den letzten Tagen.«
    »Das kann man wohl sagen.« Abraham spürte ebenfalls Unsicherheit. Eigentlich hatte er allen Grund, zornig auf Heinrich zu sein, denn dieser hatte einen Keil zwischen ihn und Alena getrieben. Doch er konnte keinen Groll empfinden. Zu viel anderes bewegte seine Gedanken.
    »Draußen haben eben ein paar Pommeraner herumgelungert, mit finsteren Mienen und geballten Fäusten. Denen passte es nicht, dass du auf freiem Fuß bist.«
    »Was?« Abraham wollte vor die Tür eilen, aber Heinrich hielt ihn zurück. »Sie haben sich schon verzogen, nachdem ein paar Universitätsjäger auftauchten.« Er lächelte. »Ich hatte sie schnell geholt.«
    »Danke.«
    »Wollen wir zu dir nach oben gehen? Hier unten ist es so ungemütlich.«
    Widerstrebend willigte Abraham ein. Er stellte fest, dass immer noch ein ganz besonderer Zauber von Heinrich ausging. Seitdem dieser sich als Henrietta

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