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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wahrscheinlich auch nicht stellen, oder?«
    »Ganz gewiss nicht!«
    »Nichts für ungut, das dachte ich mir … jajaja … nun, ich würde Euch die Witwe Vonnegut in der Güldenstraße empfehlen. Sie hat ihr Haus erst vor ein paar Jahren erworben – von einem gewissen Horwitz. Der Mann war
Schutzjude,
aber das würde Euch nicht
incommodiren,
oder?«
    »Äh, nein.«
    »Die Witwe Vonnegut ist eine brave Zimmerwirtin, ein bisschen geschwätzig wie alle, die aus Frankfurt kommen, aber nett. Und billig. Für eine Doppelstube nimmt sie quartaliter fünf Taler, also zehn für ein Semester. Außerdem bietet sie ihren
Burschen
gute und ausreichende Kost.«
    »Heißt das …?«
    »Nein, das heißt es nicht. Soviel ich weiß, hat sie keine Stellmöglichkeit für einen Wagen. Könntet Ihr das vermaledeite Gefährt nicht verkaufen? Das braucht Ihr doch als Student gar nicht?«
    »Das ist leider unmöglich.« Abraham dachte an seine Puppen, für die er eine Transportmöglichkeit benötigte, um mit ihnen auftreten zu können.
    »Dann geht es nicht, schade. Sehen wir weiter …
difficil, difficil
 … Eure Chancen werden immer kleiner … jajaja … doch halt, da fällt mir etwas ein. Wenn mich nicht alles täuscht, hat die Vonnegut eines der Nachbarhäuser im vorigen Monat hinzugekauft, und wenn Ihr Glück habt, gibt es dort einen Platz für Euren Karren.«
    »Meint Ihr wirklich?«
    »Garantieren kann ich nichts.«
    »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll.«
    Alena schloss sich an: »Auch ich möchte Euch herzlich danken.«
    »Wie ich gestern schon sagte: Dankt nicht mir, dankt der Stadt, die mich bezahlt.« Ulrich beschrieb den Weg zur Güldenstraße bis ins Kleinste, obwohl dieser wahrlich nicht schwer zu finden war, nestelte zusammenhanglos in seinen Papieren, bat darum, ihn auf dem Laufenden zu halten, falls es mit dem Zimmer klappen sollte, und händigte ein Merkblatt aus mit der Aufschrift:
Nachricht für ankommende Fremde wegen Logis und anderer Notwendigkeiten.
Dann begann er umständlich, seine Pfeife zu stopfen – Anlass genug für Abraham und Alena, sich nochmals und diesmal abschließend zu bedanken und hastig das Weite zu suchen.
    Wenig später standen sie vor dem Haus der Witwe Vonnegut und blickten einander an. »Viel Glück, Herr Abraham.«
    »Viel Glück, Frau Abraham.« Abraham betätigte den eisernen Klopfer und wartete.
    Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Tür, und eine ältere Frau erschien. Sie mochte Anfang sechzig sein, hatte ein großflächiges Gesicht mit zwei wachen Augen und einen für die kräftige Nase zu kleinen Mund. Der Mund wirkte ein wenig spöttisch, aber auch abschätzend und wissend, und die Fältchen in seinen Winkeln sprachen für einen guten Humor. »Das ist schon das dritte Mal, dass ich nicht dazu komm, die Kartoffeln abzugießen!«, kam es vorwurfsvoll aus dem Mund. »Es scheint, als hätt der Herrgott beschlossen, meine
Burschen
heut verhungern zu lassen.«
    »Seid Ihr die Witwe Vonnegut?«, fragte Abraham und bemühte sich, seiner Stimme einen besonders liebenswürdigen Klang zu geben.
    »Erst fällt der Hund über die Katze her, und ich muss mit dem Besenstiel dazwischen, dann kocht mir die Milch über und verbrennt mir den Herd, und nun seid Ihr an der Tür und klopft so laut, dass die Holzwürmer den Herrgott um Beistand anrufen! Wer seid Ihr? Wenn Ihr ein Händler seid, muss ich Euch enttäuschen. Ich brauch kein Salz, keine Seife, keine Siebe, keine Strümpfe, keine Strohhüte und auch keine Singvögel.« Die Witwe griff sich an ihren Kopfaufsatz, der von modischen Rüschen umkränzt war, und rückte ihn ein wenig zurecht.
    »Mein Name ist Julius Abraham, und das ist meine Frau Alena. Ich bin Student.«
    »Wie meint Ihr?«
    »Ich bin Student, ich …«
    »Ja, ja, und Krähen krächzen nicht! Das könnt Ihr jemand anderem erzählen, aber nicht der Witwe Vonnegut. Ich wünsch Euch einen guten Tag.« Die Witwe wollte die Tür schließen, aber Abraham stellte rasch seinen Fuß dazwischen, eine Aufdringlichkeit, zu der er unter anderen Umständen niemals fähig gewesen wäre.
    »Was erlaubt Ihr Euch?«
    »Verzeiht.« Abraham zog den Fuß zurück. »Bitte glaubt mir, ich will mich noch heute immatrikulieren, möchte Medizin studieren, der Logis-
Commissionair
Ulrich aus der Burgstraße schickt mich.«
    Sei es, dass Abrahams Verzweiflung so bemitleidenswert war, sei es, dass der Name Ulrich Wunder wirkte, in jedem Fall öffnete die Witwe die Tür und sagte:

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