Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
»Kommt erst mal rein. Ich hab nicht viel Zeit, meine
Burschen
fallen mir vom Fleisch, wenn sie nicht bald essen, und in der Küche herrscht Tohuwabohu, seit mir die Milch übergekocht ist.«
    »Kann ich Euch helfen?«, fragte Alena. »Vier Hände schaffen mehr als zwei.«
    »Das würdet Ihr tun?«
    Alenas Augen lächelten. »Ich weiß, wie es ist, wenn die Milch sich im Topf selbständig macht. Ich habe eine Zeitlang in der Küche eines Kölner Karmelitinnenklosters gearbeitet.«
    »Was Ihr nicht sagt.« Die Witwe staunte. »Euer
Habit
erinnert an das Gewand einer Nonne, das stimmt. Na, ich bin viel zu wenig eitel, um eine hilfreiche Hand auszuschlagen. Da geht’s zur Küche.« Sie wies Alena den Weg und sagte zu Abraham: »Geht in die große Stube, da sitzen schon drei
Burschen
bei der Suppe. Wenn Ihr Glück habt, ist für Euch noch ein Teller voll da.«
    Abraham bedankte sich und wollte weitere Erklärungen abgeben, aber die Frauen waren schon fort, und er stand etwas verloren im Flur. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Worten der Witwe zu folgen und in die große Stube zu gehen.
    Als er eintrat, blickten ihn drei junge Männer an, dem Anschein nach alle zwischen siebzehn und zwanzig Jahre alt. Betont munter sagte er: »Ich höre, hier soll es Suppe geben?«
    »Ist auf der Anrichte«, meinte einer der drei einsilbig.
    Abraham ging zur Anrichte, auf der eine große Terrine stand, daneben mehrere gestapelte Teller. Er füllte sich einen Teller auf und nahm einen der bereitliegenden Löffel. Um irgendetwas zu sagen, fragte er: »Ist die Suppe gut?«
    »Nicht sehr bedeutend«, antwortete einer der drei. »Aber es gibt schlechteren Fraß als den Vonnegut-Fraß.«
    »Aha.« Abraham setzte sich auf einen freien Platz und begann zu essen. Die drei
Burschen
taten, als sei er Luft. Das ärgerte ihn, deshalb machte er einen neuen Anlauf: »Was studiert ihr denn?«
    »Wer will das wissen?«, fragte einer der drei.
    »Ich bin Julius«, sagte Abraham, der das Gefühl hatte, er müsse die Distanz zwischen sich und den
Burschen
verkürzen.
    »Alex.«
    »Gottfried.«
    »Franz.«
    Die drei aßen weiter. »Und was studiert ihr?«, hakte Abraham nach.
    Derjenige, der sich Alex nannte, ein gedrungener Kerl mit breiter Stirn und abstehenden Ohren, bequemte sich zu einer Antwort: »Ich reite die Juristerei im vierten Semester.«
    »Ich philosophiere im zweiten«, sagte Gottfried, der vom Körperbau das genaue Gegenteil von Alex war.
    »Und ich im dritten«, ergänzte Franz. Er schien von den dreien der Höflichste zu sein, denn er lächelte Abraham flüchtig an: »Und was treibt Ihr?«
    »Ich möchte Medizin studieren. Will mich so schnell wie möglich einschreiben.«
    »Wie?« Alex fiel fast der Löffel aus der Hand. Auch die beiden anderen schauten verblüfft.
    »Was dagegen?«, fragte Abraham heftiger, als er eigentlich wollte, aber er hatte die Reaktionen auf seinen Studiumwunsch allmählich satt.
    »Nein, nein«, beeilte Gottfried sich zu versichern. »Es ist nur, weil du so alt bist. Ich glaube, so ein altes
Maultier
wie dich hat die gute Georgia Augusta noch nie gesehen.«
    Abraham rang sich ein Lächeln ab. Ihm war eingefallen, dass Studenten, die sich noch nicht immatrikuliert hatten,
Maultiere
genannt wurden, ebenso wie jene im ersten Semester
Füchse
hießen oder jene, die im fünften standen,
bemooste Häupter.
    »Willst du ein Bier?« Gottfried schien an Abraham etwas gutmachen zu wollen, denn er erhob sich, nahm einen Krug von der Anrichte und goss ein Glas voll. »Ist gutes Hardenberger Bier, nicht so ein schandbarer Soff wie das Göttinger Gebräu. Neulich hatten wir von dem Zeug. Es war ekelerregend.«
    »Jeder Schluck ein
Vomitiv
«, sagte Alex.
    »Pechös geht’s dem, der davon trinken muss«, sagte Franz.
    »So ist es«, sagte Gottfried. »Das Göttinger Gebräu macht impotent. Alex und Franz können’s bestätigen.«
    »Du Arsch«, sagte Alex.
    »Temetfutue«,
sagte Franz.
    »Danke für den Hinweis«, sagte Abraham und erhob sein Glas.
    Die drei taten es ihm nach, und gemeinsam tranken sie.
    »Aaah, das tut gut.« Alex schnaufte. »Als ob einem ein Engel in den Hals pisst.«
    »Amen!«, riefen die beiden anderen.
    Abraham musste an sich halten, um nicht zu grinsen, denn zweifellos galt die Vorstellung ihm, dem Älteren, um ihm zu zeigen, welch schneidige
Burschen
sie waren.
    Alex rülpste vernehmlich, nachdem er einen weiteren kräftigen Schluck getrunken hatte. »Von mir aus kann der Hauptfraß kommen.

Weitere Kostenlose Bücher