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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ist nicht nötig. Dein Wort genügt mir.«
    Sie gingen eine Zeitlang nebeneinander her, schweigend und ihren Gedanken nachhängend. »Weißt du, was?«, platzte Heinrich irgendwann heraus.
    »Nein, weiß ich nicht«, antwortete Abraham.
    »Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben.«
     
     
    Am selben Tag stand Flessner tief unten in der Grube von Bad Grund und hustete. Das tat er häufig, denn er hatte Staub in der Lunge. Außerdem fühlte er sich schlapp wie ein ausgewrungenes Tuch, denn er und seine Helfer waren seit dem gestrigen Unfall ohne Pause im Einsatz. Die einzige Unterbrechung war am Morgen der sonntägliche Gottesdienst gewesen, in dem der Pfarrer den Herrgott angefleht hatte, er möge Gnade walten und Pentzlin, Burck und Gottwald noch am Leben sein lassen.
    »Ich glaube, wir haben jeden Stein zehnmal umgedreht«, sagte Flessner resignierend und blickte in die staubgeschwärzten Gesichter seiner Kumpel. »Jetzt können wir nur noch beten.«
    »Das haben wir heute Morgen schon getan«, brummte einer der Männer. »Ich muss mal pinkeln.« Er ging einige Schritte ins Dunkle, um sein Vorhaben zu erledigen. Als er sich erleichtert hatte, wollte er zurück zu den anderen, aber er stolperte im Dämmerlicht über einige Felsbrocken und landete unsanft im Geröll.
    Fluchend wollte er sich wieder erheben, doch er glaubte einen seltsamen Laut gehört zu haben. Der Laut hatte geklungen, als würde jemandem gewaltsam die Luft aus dem Brustkorb gepresst. Sollte das …? War das vielleicht …? Hektisch begann er, mit bloßen Händen das Gestein beiseitezuräumen. »Flessner! Komm mal her, ich glaube, ich hab was!«
    Minuten später hatten sie einen der Vermissten befreit. Es handelte sich um Burck. »He, Burck, kannst du uns hören?«, brüllte Flessner heiser.
    Burck antwortete nicht. Zwar lebte er, denn er atmete und hatte die Augen geöffnet, aber er sagte nichts. Sein Blick ging ins Leere, er erkannte seine Retter nicht.
    »Flößt ihm Wasser ein«, befahl Flessner und sah mit Befriedigung, dass Burck wenigstens trank, wenn auch mechanisch wie ein Automat. »Gebt ihm nicht zu viel. Und dann schafft mehr Licht herbei, wir suchen weiter. Wo Burck war, müssen auch die anderen sein.«
    Gesagt, getan. Nach einer halben Stunde waren auch Pentzlin und Gottwald geborgen.
    Die Kumpel gaben ihnen Wasser, und auch sie tranken, schienen sich aber dessen gleichermaßen nicht bewusst zu sein. Flessner hustete. »Da hat man die drei nun gerettet, und keiner sagt was. Liegen da wie die Mumien. Na, egal, Hauptsache, sie leben. Fahrt sie mit dem Wagen zum Schacht, und dann hinauf mit ihnen ans Tageslicht. Doktor Tietz soll sie untersuchen. Vielleicht kriegt der ein Wort aus ihnen raus.«
    Die Männer brummten Zustimmung und gehorchten.
     
     
    »Liebste, es ist wie verhext, ich kann keinen klaren Gedanken fassen.« Abraham saß in seinem Arbeitszimmer und brütete über seiner Dissertation. »Die Ereignisse heute Nachmittag, als ich beim Albaner Tor die Vorstellung gab, wollen mir nicht aus dem Kopf.«
    »Das verstehe ich«, sagte Alena mitfühlend. Sie kannte bereits die ganze Geschichte, sagte aber trotzdem: »Wenn du willst, reden wir noch einmal darüber.«
    »Nein, nein. Es hilft ja doch nichts.« Abraham kaute wie so oft auf dem Federkiel. »Weißt du, es ist ja nicht so schlimm, dass mir dieser Pommeraner die Vorstellung verdorben hat, viel schlimmer ist, dass er es vermutlich wieder tun wird. Und das würde bedeuten: Ich kann hier in Göttingen kein Geld für uns verdienen.«
    »Was ist das nur für ein Mensch, dieser Pommeraner?« Alena saß neben einem Kerzenleuchter und stopfte Strümpfe. Sie konnte es nicht besonders gut und hatte sich vorgenommen, die Witwe bei nächster Gelegenheit zu bitten, es ihr zu zeigen.
    »Ich kenne ihn nicht, aber als Pommeraner gehört er einer Landsmannschaft an, ist also Student. Wahrscheinlich ein
bemoostes Haupt,
das von einer anderen Universität nach Göttingen gekommen ist, um hier das Sommersemester zu belegen.«
    »Hoffentlich studiert er nicht Medizin.«
    »Das habe ich auch schon gedacht. Ich möchte dem Kerl nicht unbedingt über den Weg laufen. Allerdings ist dieser Heinrich, von dem ich dir erzählt habe, sehr nett. Geld scheint er auch zu haben, denn er war recht freigebig beim
Schnaps-Conradi.
«
    Alena kam eine Idee. »Wenn er reiche Eltern hat, kann er dir vielleicht etwas leihen? Ich meine, nur so viel, dass es bis zum Semesterende reicht. Danach bist du ja Arzt

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