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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Cloose ist weg?«
    »Jawoll, Herr Doktor.«
    »Nun, meinetwegen. Nach der missglückten Staroperation war sein Elefantenauge gut verheilt. Ihm wird kein Schaden entstehen, wenn er wieder zu Hause ist. Aber die Behandlung muss er bezahlen. Hat er bezahlt?«
    »Nein, Herr Doktor. Er ist einfach weg.«
    »Dann schickt ihm die Rechnung. Und versucht, dem Goldschmied seine Arbeit zurückzugeben.«
    »Jawoll, Herr Doktor. Was ist denn das da für ein rundes Ding?«
    »Das ist eine elektrische Influenzmaschine.«
    »Was es nicht alles gibt.« Hasselbrinck verzog sich, und Abraham atmete auf. Gerade wollte er mit dem Elektrophor die Treppe emporsteigen, als Warners, sich auf einen Stock stützend, seinen Weg kreuzte. »Guten Tag, Warners«, sagte er notgedrungen. »Wie geht es Euch?«
    »Gestern ging es mir besser, Herr Doktor. Wir sprachen ja darüber. Eigentlich wollte ich nachher mit Euch über meine Entlassung reden, aber vorhin, als ich die paar Schritte zum Abort machte, überkam mich der Schwindel wieder. Wenn Hasselbrinck nicht neben mir gestanden hätte, wäre ich wohl der Länge nach hingeschlagen.«
    Abraham fiel darauf nichts Gescheites ein. Aber als Arzt musste er etwas sagen, und deshalb sagte er: »Jedenfalls scheinen die Schwindelgefühle in den letzten Tagen seltener aufzutreten. Geben wir der Natur noch etwas Zeit, dann hören die Anfälle der
vertigo
vielleicht ganz auf, und Ihr könnt endlich wieder als Zinngießer in Eurer Manufaktur arbeiten. Legt Euch nun wieder hin. Nachher will ich noch einmal nach Euch sehen.«
    »Danke, Herr Doktor.« Warners stakste davon.
    Abraham nahm jeweils zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe zum Oberstock hinaufstürmte. Er wollte endlich Gewissheit haben, ob seine Idee mit dem Elektrophor etwas bewirken würde, doch wieder wurde er aufgehalten. Die alte Grünwald war es, die er fast umgerannt hätte, als diese den umgekehrten Weg nach unten nehmen wollte. »Verzeihung!«, rief er. »Ich habe Euch nicht kommen sehen!«
    »Was sagt Ihr?« Die alte Frau klammerte sich an das Holzgeländer.
    »Es tut mir leid!«
    »Was?«
    »Ich sagte, es tut mir leid!«
    »Ja, nun, es ist ja nichts passiert. Wenn Ihr bloß nicht immer so schreien würdet. Ich bin doch nicht taub.«
    »Schon recht.« Abraham drückte sich an ihr vorbei und fragte sich halb belustigt, ob es noch weitere Personen im Hospital gebe, die ihn von seinem Unterfangen abhalten könnten, wobei ihm klarwurde, dass den verbliebenen vier Patienten mittlerweile vier Personen an Personal gegenüberstanden, ihn eingerechnet. Ein Verhältnis, durch das die Kosten des Hospitals keineswegs gedeckt würden. Nun, das sollte seine Sorge nicht sein. Dann betrat er den Patientensaal mit den drei Bergleuten.
    Wie nicht anders zu erwarten, lagen sie auch heute da wie die Ölgötzen. Sie hatten die Augen geöffnet und starrten seelenlos an die Decke. Das Bett von Pentzlin stand dem Fenster am nächsten, weshalb er ihn für sein Experiment auserkoren hatte. Er schob einen kleinen Tisch zwischen Bett und Fenster und stellte die Influenzmaschine darauf. Das Gerät bestand aus zwei Teilen: einem flachen Teller aus Metall, in dessen Mitte ein isolierender Griff aus Holz angebracht war, und einem darunter befindlichen, sogenannten Kuchen, einer Scheibe aus Hartgummi, die geerdet werden musste. Abraham beschäftigte sich gerade damit, um anschließend das Gerät in Betrieb zu setzen und herauszufinden, ob die zwischen den Teilen erzeugte Spannung eine Auswirkung auf Pentzlins Körper haben würde – er dachte dabei auch an die Wirkungen des animalischen Magnetismus –, als Hasselbrinck unversehens auftauchte.
    »Verzeihung, Herr Doktor«, sagte er und begann übergangslos, den Boden zu wischen, wobei er auffällig unauffällig zu dem elektrischen Gerät schielte. Abraham seufzte. Eine der wenigen Schwächen des Krankenwärters war seine Neugier. »Hört schon auf mit der Wischerei«, sagte er nicht unfreundlich. »Was wollt Ihr wissen?«
    »Ich? Nichts.« Hasselbrinck machte weiter, besann sich dann aber und sagte: »Ich hab ja die Verantwortung für alles hier, Herr Doktor, deshalb wollt ich fragen, ob dieses Ding da gefährlich ist. Ich meine, es gibt ja so viele neumodische Apparate, und man hört so viel …«
    »Wenn man richtig damit umgeht, ist der Elektrophor nicht gefährlich. Die Bezeichnung leitet sich ab vom griechischen
elektron,
was ›Bernstein‹ heißt, sowie von
pherein,
was so viel wie ›tragen‹ bedeutet. Wobei

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