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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wie sie Abraham, diesen treulosen Schurken, strafen könne. Sie musste augenblicklich ausziehen. Wenn sie ihn verließe, würde er schon sehen, was er an ihr gehabt hatte. Aber wohin? Sie hatte kein Geld, um woanders ein Logis zu mieten. Aber vielleicht könnte sie den Mietzins abarbeiten? Irgendwo in Göttingen musste es doch eine Adresse geben, wo das möglich war? Vielleicht sollte sie zu Ulrich, dem Logis-
Commissionair
in der Burgstraße, gehen? Das schien ein umgänglicher Mann zu sein, wenn auch der Gestank seiner Pfeife kaum auszuhalten war. Doch halt! Ulrich würde ihr nicht helfen können. Er vermittelte nur an Studenten. Verflixt noch mal, was konnte sie nur tun?
    Und dann tat Alena das Naheliegendste. Sie stieg die Treppe wieder hinab und ging in die Küche, wo die Witwe noch immer saß, mittlerweile bei einem Gläschen Magenliqueur.
    Sie setzte sich zu ihr, nahm sich ein Herz und erzählte ihr alles.
    Als sie geendet hatte, lehnte die alte Frau sich in ihrem Stuhl zurück, schnaufte und sagte: »Steh auf, mein Kind und greif dir ein Liqueurglas. Mir glättet das Zeug den Magen, und dir mag’s die bösen Gedanken vertreiben. Prost!«
    Alena nahm das Glas mit zitternden Fingern und trank. Der Liqueur war scharf, er brannte wie Feuer in der Kehle. »Was soll ich nur tun?«, fragte sie.
    Statt zu antworten, goss die Witwe sich nochmals ein, kippte den Trank wie ein Mann hinunter, schnaufte, trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und sagte dann: »Die Sache ist klar, du musst ihn verlassen.«
    »Das will ich ja, Mutter Vonnegut!« Alena schrie fast. »Aber ich weiß nicht, wohin. Kennt Ihr nicht eine Adresse, wo ich für meiner Hände Arbeit unterkommen könnte?«
    »Doch, mein Kind, die kenne ich.«
    »Wo denn, wo?«
    »Hier.«
    »Wie?«
    »Du nimmst bei mir hier unten Quartier. Es gibt da ein halbes Zimmerchen, man kann darin nur ein paar Füße vor die anderen setzen, aber immerhin. Dort machte mein guter Mann, als er noch bei Kräften war, mit mir gern ein
Rapuse-
Spielchen. Viel mehr als der Kartentisch steht deshalb nicht drin. Wenn du den rausräumst und den kleinen Krimskrams dazu, magst du dort einziehen. Viel hast du ja nicht.«
    Alena traten vor Freude die Tränen in die Augen. »Ihr seid ein guter Mensch, Mutter Vonnegut.«
    »Ja, ja. Wollen hoffen, dass der liebe Gott dran denkt, wenn ich mal vor ihm steh.«
     
     
    Abraham ahnte von allen diesen Vorgängen nichts, als er mit großen Schritten dem Hospital zustrebte, ein fröhliches Lied vor sich hin pfeifend. Seine Laune war in der Tat gut, denn die Vorlesung bei Professor Lichtenberg hatte sich nicht nur als äußerst interessant erwiesen – der bucklige Gelehrte hatte über zwei Stunden lang hochkonzentriert über die Hintergründe, die Konstruktion und die elektrischen Eigenschaften des Elektrophors gesprochen –, er war auch so freundlich gewesen, ihm ein Zweitgerät leihweise zu überlassen. Ein kleineres zwar, aber ein ebenfalls voll funktionsfähiges. Und mit dieser Influenzmaschine hatte Abraham etwas ganz Bestimmtes vor.
    »Das Auge vom Goldschmied ist gekommen, Herr Doktor«, sagte Hasselbrinck zur Begrüßung im Hospitaleingang.
    »Was für ein Auge?« Abraham wirkte etwas zerstreut, weil er in Gedanken bei dem Elektrophor war. »Ach ja, das künstliche Auge.«
    »Cloose wollt’s nicht haben.«
    »Was sagt Ihr da?«
    »Cloose wollt’s nicht haben, Herr Dokor, weil der Goldschmied gesagt hat, das Auge kostet vier Taler und acht. Und da hat Cloose gesagt, das wär ja ein Vermögen, er wär ja kein Dachdeckermeister mehr, er wär auf dem Altenteil und er hätte höchstens im Monat so viel wie eine Magd, und das wär ein Taler, wenn überhaupt. Und dann hat er noch die Taler in Mariengroschen umgerechnet, weil es den Taler ja nur auf dem Papier gibt, und gesagt, das wären ja hundertzweiundfünfzig Mariengroschen, und wenn ihm das vorher einer gesagt hätte, dann hätte er so ein Goldauge sowieso nicht gewollt. Und die Kosten fürs Anmalen von dem Auge würden ja auch noch anfallen. Und da hätte man ihn ganz schön reingelegt.«
    »Schon gut, ich kümmere mich darum. Wenn Cloose davon spricht, man hätte ihn reingelegt, geht er ein bisschen zu weit. Er hätte sich denken können, dass ein Kunstwerk wie ein nachgebildetes Auge nicht billig ist. Er soll mal zu mir in meine Stube kommen.«
    »Cloose ist weg, Herr Doktor, nach Hause. Er hat gesagt, ehe er so ein Heidengeld bezahlt, trägt er lieber eine Klappe.«
    »Was,

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