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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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an.
    »Du bist wach, und es tut mir leid, dass es so spät geworden ist.«
    »Wenn der Herr noch ein einziges Mal geruht, erst mitten in der Nacht zu erscheinen, braucht er gar nicht mehr nach Hause zu kommen!« Alena schleuderte ihm die Worte förmlich entgegen. »Ich habe kein Auge zugemacht.«
    Abraham seufzte. Er hatte gehofft, der Kelch würde an ihm vorübergehen. »Ich kann dir erklären, warum es so spät wurde.«
    »Ich will deine Erklärungen nicht. Ich will jetzt schlafen.«
    »Dann eben morgen.« Abraham deckte sich zu und schloss die Augen.
    An Schlaf war allerdings nicht zu denken. Nach einer Weile spürte er, dass es Alena genauso erging. »Kannst du auch nicht schlafen, Liebste?«
    Nach einer kleinen Pause kam ihre Antwort. »Nein.«
    Gott sei Dank, ihre Stimme klang schon versöhnlicher. »Ich war beim
Schnaps-Conradi,
mit, äh, Heinrich, und weißt du, wer mich dort erwartete? Professor Lichtenberg. Stell dir vor, der berühmte Professor Lichtenberg. Er wollte mich kennenlernen, um mir von seinen vielen Zipperlein vorzustöhnen … Sag, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Ja. Dieser eingebildete Kranke war also wichtiger als ich.«
    »Unsinn.« Abraham wollte zu Alena hinüberfassen, unterließ es dann aber. Noch schien die Festung zu wehrhaft. »Ich glaube, ich habe auf Lichtenberg einen sehr guten Eindruck gemacht. Ich konnte ihm einige Ratschläge für ein gesünderes Leben geben, die er dankbar angenommen hat. Du weißt ja, der Mann hat viele Beziehungen.«
    »Nein, weiß ich nicht.«
    »Morgen Vormittag hat er mich übrigens zu einer Lesung bei sich zu Hause eingeladen. Eine große Ehre.«
    »Und das alles hat bis mitten in der Nacht gedauert?«
    »Oh, Liebste, sei gnädig. Einen Mann wie Lichtenberg kann man nicht mit wenigen Worten abfertigen.«
    »Wenn du es sagst.«
    »Ja, das sage ich.« Abraham beschloss, zusätzlich von der überraschenden Wandlung Heinrichs zu berichten. »Stell dir vor, und dann habe ich noch eine junge Dame namens Henrietta kennengelernt.«
    »Henrietta?« Alenas Stimme wurde misstrauisch.
    »Ja, stell dir vor …« Abraham berichtete von der seltsamen Begegnung im Büttnerschen Haus – natürlich ohne auf die intimen Augenblicke einzugehen. Wie erwartet, wollte Alena die Geschichte zunächst kaum glauben, aber dann fand sie die Einzelheiten so faszinierend, dass sie eine Frage nach der anderen stellte. Abraham beantwortete sie alle nach bestem Wissen und brauchte dabei alle Konzentration, um die intimen Augenblicke zu verschweigen.
    Als Alenas Wissensdurst befriedigt war und Abraham ihr das Versprechen abgenommen hatte, über alles strengstes Stillschweigen zu bewahren, schliefen beide schließlich ein.
    Der Haussegen hing wieder einigermaßen gerade.
     
     
    Nachdem Abraham am anderen Morgen das Haus verlassen hatte, um sich auf den Weg zum Lichtenbergschen Haus zu machen, räumte Alena noch dies und das in der Küche fort. Die Witwe Vonnegut war an diesem Tag ein wenig unpässlich, weshalb sie zum Frühstück nur einen Kamillentee zu sich genommen und beim Tischgespräch ungewohnte Zurückhaltung geübt hatte. Sie trank einen letzten Schluck, setzte die Tasse – ein Stück von echtem blau-weißem China – ab und klagte: »Wenn das Bauchgrimmen weiter die Oberhand behält, werd ich wohl oder übel das Bett hüten müssen.«
    Alena hielt in ihrer Tätigkeit inne. »Ist es denn so arg, Mutter Vonnegut?«
    »Vielleicht ist es arg, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall hab ich das Gefühl, als würden zehn Finger in meinem Leib um die Wette klöppeln.«
    »Das tut mir leid. Warum habt Ihr nichts gesagt, vorhin, als Abraham noch hier war? Wozu haben wir einen Arzt im Haus?«
    »Ich mochte ihn damit nicht belämmern. ›Was von selbst kommt, geht auch von selbst‹, hat meine gute Mutter – Gott hab sie selig – immer gesagt, wenn sie etwas plagte. Sie setzte sich ans
Fortepiano
und sang mit ihrer herrlichen Stimme: ›Kennst du das Land, wo die Citeronen blühn?‹ Darüber verging der Schmerz.«
    Alena wischte sich die Hände an der Schürze ab und lächelte. »Leider haben wir kein Klavier, Mutter Vonnegut.«
    »Es muss auch so gehen. Und wie geht es dir?«
    »Mir? Oh, gut, natürlich.«
    »Das hoff ich – und will aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Ich hab Augen im Kopf, Alena, und diese Augen sagen mir, dass du häufiger mit der Hand über deinen Leib streichst. Bist du etwa guter Hoffnung?«
    »Nun, Mutter Vonnegut …«
    »Sag’s nur. Es ist,

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