Das Lied der Luege
für das Frauenwahlrecht fixiert, wahrscheinlich hatte sie gedacht, Susan als Mitstreiterin an Daniel zu verlieren.
Langsam erhob sich Daniel aus dem Sessel, nahm Susans Arm und zog sie hoch. Sein Gesicht war dem ihren ganz nahe.
»Ich weiß, es ist verrückt, aber ich habe dich die ganze Zeit nicht vergessen können«, flüsterte er, obwohl sie allein waren. »Seit du damals aus New York abgereist bist, verging kein Tag, an dem ich nicht an dich dachte und mich fragte, was du machst und ob du gesund und glücklich bist. Als ich dann nichts mehr von dir hörte, hat mich das sehr verletzt. Ich musste jedoch kommen, auch wenn ich nicht wusste, was mich erwartet.«
»Daniel … nicht …«, wehrte Susan ab, als er sie küssen wollte. »Ich sehe furchtbar aus …«
»Du bist wunderschön.«
Sein Mund senkte sich auf ihre Lippen, und in Susan zerbrach jeglicher Widerstand. Sie schlang ihre Arme um seinen Körper und erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft. Es war so furchtbar lange her, seit ein Mann sie geküsst hatte. Als Daniel sich von ihr löste, sie auf die Arme nahm, als wöge sie nicht mehr als eine Feder, und sie nach oben trug, wehrte Susan sich nicht. Sie wollte jetzt nicht an den Abend, wenn Daniel in den Krieg ziehen musste, denken. Sie wollte an gar nichts denken, außer, dass der Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, in diesem Moment bei ihr war, und jede Minute mit ihm genießen. Wie hatte sie jemals glauben können, Daniel würde ihr nichts mehr bedeuten?
Daniel zeigte Verständnis, dass Susan ihn nicht nach Plymouth begleiten wollte.
»Ich hasse Abschiede«, sagte sie, und Daniel nickte.
»Wir sagen nicht adieu, sondern auf Wiedersehen, mein Schatz.« Seine Worte rannen wie ein wohliger Schauer über Susans Rücken. »Der Krieg kann nicht mehr lange dauern. Wirst du auf mich warten?«
Seine Frage klang bang, und in Daniels Augen stand ängstliche Erwartung.
»Es gibt keinen anderen Mann in meinem Leben«, antwortete Susan ernst. »Wenn es das Schicksal will, dann wirst du gesund zurückkehren, und ich werde hier sein.«
Sie hörten unten eine Tür klappen, und schnell zog Susan sich an.
»Was wird dein Sohn sagen, wenn er mich hier findet?«, fragte Daniel, während er in seine Uniform schlüpfte.
Susan lachte. »Nun, er muss uns ja nicht gerade im Bett vorfinden, er wird aber gleich heraufkommen, da ich noch kein Abendessen gemacht habe.«
Susan fing Jimmy auf der Treppe ab, und der Junge merkte sofort, dass seine Mutter verändert war. Nie zuvor hatte er sie so fröhlich und strahlend erlebt, zudem war ihr Haar zerzaust und ihre Lippen rot und geschwollen.
»Ich mache gleich etwas zu essen«, sagte sie hastig und schob Jimmy vor sich die Treppe hinunter. Da polterte es plötzlich in ihrem Schlafzimmer, und Jimmy grinste.
»Wurde auch mal Zeit, Mama«, sagte er, blickte auf die Schlafzimmertür und dann Susan ins Gesicht. Er grinste. »Du bist schließlich keine Nonne.«
»Jimmy!« Susan war über seine Worte schockiert, aber Jimmy lachte nur laut.
»Mama, wann wirst du endlich einsehen, dass ich kein Kind mehr bin? Ich hoffe nur, der Kerl ist deiner auch wert. Wenn nicht, kriegt er es mit mir zu tun.«
Keine Äußerung von Jimmy hatte Susan bisher derart glücklich gemacht. Endlich hatten sie ganz zueinandergefunden, und ihr Sohn sorgte sich um sie. Spontan umarmte Susan Jimmy und küsste ihn auf die Stirn, was sich der Junge nur widerstrebend gefallen ließ.
Als Daniel die Treppe herunterkam, starrte Jimmy ihn mit offenem Mund an.
»Ein Soldat?« Er war offensichtlich beeindruckt. »Das ist doch keine englische Uniform. Zu welchem Regiment gehören Sie?«
»Jimmy, sei nicht so neugierig«, mahnte Susan, Daniel winkte jedoch ab und lachte.
»Ich bin Amerikaner.« Er streckte Jimmy seine Hand entgegen. »Ich heiße Daniel, und du bist bestimmt Jimmy. Deine Mutter hat mir schon viel von dir erzählt.«
Jimmy runzelte die Stirn.
»Glauben Sie bitte nur die Hälfte«, entgegnete er schlagfertig, und kam dann gleich zu dem Thema, das ihn am meisten beschäftigte. »Glauben Sie, dass der Krieg noch so lange dauern wird, bis ich mich auch melden kann?«
»Das möge Gott verhüten«, antwortete Daniel. »Mein Junge, glaube mir, die Heldengeschichten in deinen Büchern haben nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich muss jetzt gehen.«
»Kommen Sie uns wieder mal besuchen?«, fragte Jimmy. »Wenn der Krieg vorbei
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