Das Lied der Luege
ihrem schmierigen Vermieter kam, der als Miete Sex von ihr gefordert hatte, legte Daniel einen Arm um sie, zog sie stumm an sich und streichelte sie beruhigend. Susan schilderte den nebligen Tag im November, als sie Lady Lavinia aus der Themse rettete und wie der Gedanke, ihrem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen, in ihr gewachsen war.
Sie sprach beinahe die ganze Nacht. Die Glocke des Kirchturms schlug die vierte Stunde, als Susan erschöpft endete. Sie hatten keine Lampe entzündet, und Susan konnte Daniels Gesicht im fahlen Schein des Mondlichts nicht erkennen. Einmal hörte sie, wie er den Atem anhielt, als sie zu der Stelle kam, als sie zu Lavinia gegangen war, behauptete, ihr Sohn wäre gestorben, und ihr den Vorschlag machte, ihr das ungeborene Kind für tausend Pfund zu überlassen, obwohl es ursprünglich Lavinias Idee gewesen war.
»Ich hätte das Angebot nicht annehmen müssen.« Susan seufzte, und ihre Finger kneteten nervös eine Ecke der Bettdecke. »Ich hatte die Wahl, verstehst du? Lavinia Callington war nicht Herr ihrer Sinne, als sie mir vorschlug, mir mein Kind abzukaufen. Sie hätte das schnell wieder vergessen. Doch für mich schien es die perfekte Lösung für alle meine Probleme zu sein.« Sie hob den Kopf und suchte Daniels Blick, sein Gesicht verschwamm jedoch im fahlen Mondlicht, das durch die Scheiben ins Zimmer fiel. »Ich verstehe, wenn du jetzt gehst und niemals wieder etwas mit mir zu tun haben möchtest.«
Susan fühlte sich plötzlich sehr müde und erschöpft, als hätte sie die ganze Nacht schwer gearbeitet. Am liebsten hätte sie sich die Decke über den Kopf gezogen und tagelang geschlafen.
Sie hörte, wie Daniel zu ihr herüberrutschte. Seine Hand tastete nach ihrem Arm, sanft zog er sie näher zu sich heran und bettete ihren Kopf an seine Brust.
»Was musst du seit Jahren durchmachen«, sagte er leise. »Es tut mir so leid. Du tust mir so unendlich leid …«
»Leid?« Susan glaubte, sich verhört zu haben. »Du scheinst nicht richtig zugehört zu haben, Daniel.
Ich
habe
mein
Kind verkauft, das ich als Last empfand, weil ich geldgierig und hungrig nach dem Leben der Reichen war.«
»Du hast das Kind niemals gewollt«, antwortete er verständnisvoll. »Es entstand durch eine Gewalttat.«
»Trotzdem wuchs ein neues Leben in mir. Ein Leben, das nicht danach gefragt worden war, ob es gezeugt werden wollte und wie es dazu kam. Anabell war … ist ein Teil von mir, und ich habe sie nicht nur weggeworfen, als wäre sie ein fauliges Stück Fleisch, nein, ich habe daraus auch noch Profit geschlagen.«
Susan schluchzte auf, und Daniel streichelte zärtlich ihr Haar.
»Warum weinst du, Susan?«, fragte er ernst. »Weinst du, weil du deine Tochter verloren oder weil du es mir gebeichtet hast und fürchtest, ich könne dich nicht mehr lieben?«
»Aus beiden Gründen«, antwortete Susan zögerlich. »Seit dem Tag von Anabells Geburt gab es keinen einzigen Moment, in dem ich meine Entscheidung nicht bereut hätte, wenngleich ich weiß, dass ich Anabell niemals ein solches Leben und solche Zukunftsaussichten wie die Callingtons hätte bieten können.«
»Wenn du die Wahl hättest – mich oder deine Tochter –, wen würdest du wählen?«
Die Frage traf Susan völlig unvorbereitet, die Antwort kam jedoch ohne das kleinste Zögern.
»Anabell.«
Daniel hob ihren Kopf und küsste sie. Wie eine Ertrinkende klammerte sich Susan an ihn. Minuten später sagte Daniel leise: »Dann sollten wir überlegen, was wir tun können, damit du Anabell bekommst. Ich habe noch ein paar Wochen Zeit, bis wir zu viert nach Boston reisen müssen.«
Susan glaubte, sich verhört zu haben. Mit einem Ruck machte sie sich von Daniel frei, tastete nach der Nachttischlampe und knipste sie an.
»Was hast du gesagt?« In seinem Gesicht suchte sie nach Spott oder einem Anzeichen, dass er sie auf den Arm nahm und sich an ihren Gefühlen weidete, doch Daniel sah sie an wie immer – voller Liebe und Zärtlichkeit. »Du willst … ich soll immer noch …?«
Er nickte. »Für jemanden wie mich, der nie wirkliche Geldsorgen kennengelernt hat, ist es zwar schwer, zu verstehen, dass man manchmal Dinge macht – illegale Sachen sowie auch unmoralische –, um ein besseres Leben führen zu können. Als Anwalt sehe ich jedoch regelmäßig in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele und weiß, dass die Verzweiflung einen Menschen zu allem treiben kann. Damals schien für dich der einzig richtige Weg zu
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