Das Lied der Luege
ist?«
»Ja, ich komme wieder.« Daniel sah erst ihn, dann Susan ernst an. »Ich verspreche, ich werde wiederkommen.«
In den folgenden Monaten wurde an allen Fronten hart gekämpft, doch durch die Unterstützung der Amerikaner gelang es den Alliierten, die Deutschen in Europa immer weiter zurückzudrängen. Gespannt verfolgte Susan jede Nachricht, die nach Cornwall durchdrang, und jedes Mal, wenn neue Verlustlisten veröffentlicht wurden, war ihr beinahe übel vor Angst, Daniels Namen irgendwo zu finden. War dies nicht der Fall, war Susan keineswegs beruhigt, denn sie bezweifelte, ob in englischen Zeitungen auch die Namen gefallener US -Amerikaner veröffentlicht würden.
Anfang Januar 1918 erhielt sie einen Brief von Daniel. Er klang unbekümmert und positiv, ging jedoch mit keinem Wort auf die aktuellen Kriegshandlungen ein oder erwähnte, wo sein Regiment gerade stationiert war.
Mach dir keine Sorgen, Liebste, mir geht es gut, und ich werde bald wieder bei dir sein …
Susan faltete den Brief und trug ihn vorn in ihrem Mieder. Sie war nicht sonderlich gläubig – denn wenn es einen Gott gab, warum ließ er dann ein solches Elend wie diesen Krieg überhaupt zu? –, dennoch betete sie jeden Abend. Nicht nur für Daniel, sondern für alle Männer auf den Schlachtfeldern.
Ein Lichtblick in dieser Zeit waren für Susan die Treffen mit Rosalind und Anabell. Lavinia Callington hatte sich von ihrem Unfall wieder vollständig erholt, war aber nach wie vor melancholisch, so dass sie entweder nicht wusste, dass Anabell mit Susan Kontakt hatte, oder es stillschweigend billigte. Im Frühjahr 1918 reiste sie für mehrere Wochen zu ihrem Mann nach London, und in dieser Zeit war Susan regelmäßiger Gast auf Sumerhays. Mrs. Windle, die Haushälterin, bedachte sie zwar stets mit unfreundlichen Blicken, richtete jedoch nie das Wort an sie. Susan lernte auch Lady Zenobia kennen, die sie zwar nicht in ihr Herz schloss, jedoch die Freundschaft Rosalinds zu einer
Frau aus dem Volk
, wie Zenobia sie nannte, akzeptierte. Nach solchen Treffen war Susan immer völlig durcheinander. Auf der einen Seite fieberte sie den Begegnungen mit Anabell entgegen, andererseits lag sie danach nächtelang wach und grübelte über ihre große Schuld nach. Mitzuerleben, wie Anabell wuchs und gedieh, wie sie lernte und von Monat zu Monat schöner wurde, hätte Susan um nichts in der Welt missen wollen.
»Ich habe Jimmy bei mir«, sagte sich Susan, wenn sie sich in Träumen verlor, in denen sie auch ihre Tochter in die Arme schließen konnte. »Ich sollte nicht zu viel verlangen.«
Außerdem hätte sie dem Mädchen niemals das Leben, das Anabell führte, bieten können. Susan hatte sich damit abgefunden, dass sie Anabell zwar in ihrem Bauch getragen und geboren hatte, sie aber niemals ihr Kind sein würde.
Eigentlich war Anabell nun alt genug, ein gutes Pensionat zu besuchen, in dem ihre Ausbildung gefördert und vervollständigt wurde, wegen des Krieges blieb das Mädchen aber weiter auf Sumerhays, wo Rosalind sie unterrichtete.
»Natürlich kommt für Lavinia und Edward nur eine Schule in Frankreich oder der Schweiz in Frage«, sagte Rosalind spöttisch bei einem ihrer Besuche in Susans Cottage. »Englische Pensionate sind für eine Callington nicht gut genug. Obwohl die Schweiz neutral ist, wäre eine Reise aufs Festland viel zu gefährlich, und Frankreich scheidet ohnehin aus.«
Susan war glücklich, dass Anabell vorerst in Cornwall blieb. Natürlich wusste sie, dass es unabdingbar war, dass das Mädchen in naher Zukunft eine gute Schule besuchte. Obwohl Susan das Kriegsende herbeisehnte, wünschte sie sich, es möge noch lange dauern, bis Anabell Sumerhays verlassen musste.
Als es im November 1918 endlich vorbei war und die Nachricht, Deutschland hätte kapituliert und einen Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet, verbreitet wurde, liefen die Menschen auf die Straßen, tranken, sangen und tanzten. Nicht nur in den Großstädten, sondern auch in Polperro herrschte Ausnahmezustand. Der Wirt öffnete seine Zapfhähne und schenkte Freibier aus, der Bäcker buk Pasteten, und Mr. Godrevy, der Metzger, machte warme Würstchen, die ebenso wie die Pasteten kostenlos verteilt wurden. Selbst Jimmy, inzwischen vierzehn und damit alt genug, sich für die Reserve zu melden, freute sich über den Frieden. Die Erinnerung an seinen Vater würde ihn nie verlassen, sie begann jedoch zu verblassen, und er sprach nur noch selten von
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