Das Lied der Luege
spielenlassen kann, da wird seine dicke Geldbörse nachhelfen.«
Daniel teilte Susans Zweifel, bestärkte sie jedoch darin, nicht einfach auf ihre Tochter zu verzichten.
»Zuerst werden wir das persönliche Gespräch mit Lady Lavinia suchen. Du hast mir gesagt, dass weder ihr Mann noch sonst jemand aus der Familie die Wahrheit weiß. Die Dame wird bestrebt sein, einen Skandal zu vermeiden …«
»Mir jedoch bestimmt nicht ihr Kind überlassen«, vollendete Susan den Satz mit einem bitteren Unterton. »Vor Jahren hat sie mich bedroht, und ich hege immer noch den Verdacht, dass die Frau an dem
Unfall
von Zenobias Ehemann Schuld trägt. Das ist aber auch etwas, was ich nicht beweisen kann.«
Susan dachte an Stephen Polkinghorn. Er hatte die Wahrheit geahnt und wäre jetzt vielleicht ein Verbündeter gewesen, doch Stephen war tot, und es war unwahrscheinlich, dass er über seine Vermutung mit jemandem gesprochen hatte.
An dem Tag, als Daniel nach Sumerhays ging, um ein Gespräch mit Lavinia Callington zu erbitten, lief Susan in ihrem Cottage nervös auf und ab. Sie war froh, dass Jimmy in der Schule war und danach bei Lewis’ Eltern essen würde. Ihr Sohn hätte sofort die große innere Anspannung, unter der sie stand, gespürt. Sie wollte Jimmy jedoch erst einweihen, wenn wirklich die Aussicht bestand, Anabell zu sich zu holen.
Es dunkelte bereits, als Daniel zurückkehrte. Susan sah gleich an seinem Gesichtsausdruck, dass er wenig Erfolg gehabt hatte. Nachdem er den Mantel ausgezogen und sich einen Brandy genehmigt hatte, setzte er sich in den Sessel vor dem prasselnden Kaminfeuer und seufzte.
»Lady Lavinia hat natürlich geleugnet«, begann er. »Sie beschimpfte mich als Lügner und drohte, mich wegen infamer Verleumdung ins Gefängnis zu bringen.«
»Ich habe es dir gesagt«, entgegnete Susan resigniert.
»Warte.« Daniel hob die Hand, als Susan etwas sagen wollte. »Ich hatte das Gefühl, dass die Lady psychisch etwas angeschlagen ist, keinesfalls würde sie einen Prozess und den damit verbundenen Skandal durchstehen. Als ich ging … oder vielmehr, als ich von ihr an die Luft gesetzt wurde, gelang es mir, ein paar Worte mit dieser Haushälterin zu wechseln. Ich sagte ihr auf den Kopf zu, dass wir beabsichtigen, deine Tochter zu uns zu holen, und die Frau …«
»Mrs. Windle«, sprang Susan in die Bresche.
»Also, Mrs. Windle war sichtlich durcheinander. Sie ist nicht mehr die Jüngste, und ich glaube, wir sollten bei ihr ansetzen. Sie kennt die Wahrheit und kann diese vor einem Richter bezeugen.«
»Das wird sie niemals machen.« Susan schüttelte den Kopf. »Lady Lavinia würde sie auf der Stelle entlassen, und die Frau weiß nicht, wohin sie sonst gehen soll.«
Daniel lächelte und schenkte sich ein zweites Glas Brandy ein.
»Eigentlich ist es tragisch, aber Geld regiert nun mal die Welt. Ich bot Mrs. Windle eine gewisse Summe an, die es ihr ermöglichen würde, ein Cottage zu kaufen und für den Rest ihres Lebens sorgenfrei zu leben, wenn sie bereit ist, die Wahrheit zu sagen.«
»Du willst sie kaufen?« Erregt sprang Susan auf. »Lavinia wird ihr mehr bieten, aber davon abgesehen, ich habe nicht so viel Geld. Das, was Paul übrig gelassen hat, reichte gerade, um Jimmy und mich bis jetzt durchzubringen, künftig muss ich mich nach einer Arbeit umsehen.«
»Ach, Susan, du vergisst, dass wir bald verheiratet sein werden.« Daniel sagte die Worte so, als würde er fragen, was es zum Abendessen gäbe. »Selbstverständlich werde ich für alle Kosten aufkommen, und … nein, sag jetzt nichts … vergiss deinen Stolz, das Geld anzunehmen. Als meine Frau wird es zwischen uns kein
dein
und
mein
geben.«
»Nun, das sehen die Gesetze aber anders«, antwortete Susan und lächelte. »Zumindest in England ist es so, dass der gesamte Besitz einer Frau automatisch dem Mann gehört, wenn sie heiraten. Andersherum ist es allerdings nicht so. Das war ja der Grund dafür, dass Lavinia mir das Angebot überhaupt gemacht hat.«
»Lass uns jetzt nicht über die Gleichberechtigung der Frau diskutieren.« Daniel wechselte das Thema. »Ich versichere dir, als meine Frau wirst du in deiner Freiheit nicht eingeschränkt sein, und das Leben in Boston unterscheidet sich auch sehr von dem in England. Jetzt aber wieder zurück zu Anabell. In vier Wochen soll das Mädchen in das Pensionat abreisen. Derzeit sind die Straßen in Frankreich und in der Schweiz durch starke Schneefälle nicht passierbar, darum
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