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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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nach Sumerhays fahren und Anabell mitnehmen.
    »Meiner Mutter und meiner Schwester werde ich erklären, dass Sie Anabell in das Schweizer Pensionat begleiten werden.« Keine Gefühlsregung zeigte sich in seinen kalten, grauen Augen. »Ich hoffe auf Ihr Verständnis und Ihre Diskretion, dass diese leidige Angelegenheit nicht breitgetreten wird. In ein paar Wochen werde ich meiner Familie und den Nachbarn erklären, Anabell wäre in der Schweiz an einer Krankheit gestorben. Meine Frau werde ich die nächste Zeit in einem Sanatorium unterbringen, bis sie sich mit den Tatsachen abgefunden hat.«
    »Es scheint Sie nicht zu berühren, Ihr Kind zu verlieren?«, fragte Daniel direkt und war über die Härte Sir Edwards entsetzt.
    Dieser zuckte lapidar mit den Schultern.
    »Wie ich bereits sagte, ich wäre bereit gewesen, Anabell weiter als meine Tochter anzuerkennen und niemandem die Wahrheit zu verraten, wenn der Richter entschieden hätte, dass das Kind in unserer Obhut verbleibt. Ich sehe jedoch, dass Sie, Mrs. Draycott, einen öffentlichen Prozess nicht scheuen, was für mich auf keinen Fall in Frage kommt – gleichgültig, wie das Urteil lauten würde.« Sir Edward fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn, seine Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich zusammen, dann zischte er: »Nie in meinem Leben bin ich derart betrogen und hintergangen worden, nicht einmal, als Lavinia und Sebastian …« Er brach rasch ab und drehte sich um. »Also, fahren Sie nach Sumerhays, und holen Sie das Kind. Ich werde meiner Schwester die entsprechenden Anweisungen gleich heute telegrafieren. Wie Sie das alles allerdings dem Mädchen erklären wollen … Nun, das ist Ihre Angelegenheit.«
     
    Als die Räder des Zuges über die Schienen ratterten, starrte Susan aus dem Fenster, wobei sie kaum etwas sehen konnte, denn Regen und Schnee klatschten gegen die Scheiben. Sie erinnerte sich an ihre erste Fahrt nach Cornwall, als sie begierig jede Veränderung der Landschaft in sich aufgenommen und den kommenden Ereignissen gespannt entgegengesehen hatte. Damals trug sie Anabell in ihrem Bauch – und jetzt war sie unterwegs, um ihr Kind endgültig zu sich zu holen.
    »Woran denkst du, Liebes?« Zärtlich legte Daniel einen Arm um ihre Schultern. Susan seufzte.
    »Es ging alles so schnell und so leicht, beinahe erscheint es mir wie ein Traum. Ich hätte gedacht, Lavinia würde wie eine Löwin um ihre … um Anabell kämpfen.«
    »Die Frau sieht nicht sehr gesund aus.« Daniel runzelte die Stirn. »Du hast mir ja bereits erzählt, dass sie melancholisch geworden ist. Kein Wunder, wenn man mit einem Mann wie diesem Edward Callington verheiratet ist.«
    Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf Susans Lippen ab.
    »Wir sollten überlegen, was wir Anabell sagen. Und wann. Sie meint ja, in ein paar Tagen in die Schweiz abzureisen, stattdessen nehmen wir sie mit nach Amerika. Es wird ein Schock für das Kind sein.«
    Daniel stimmte ihr zu, und während der restlichen Fahrtzeit diskutierten sie alle Möglichkeiten, wie und wann sie Anabell am besten die Wahrheit sagen konnten.
     
    Die Nacht senkte sich bereits über das Land, als sie in Liskeard ankamen und mit dem Bus nach Polperro fuhren. Obwohl Susan am liebsten sofort nach Sumerhays gegangen wäre, wusste sie, es war vernünftiger, bis zum nächsten Vormittag zu warten. Dann würde auch Sir Edwards Telegramm an Lady Zenobia und Rosalind eingetroffen sein, dass sie und Daniel Anabell in die Schweiz begleiten sollten. Wahrscheinlich würde sich Rosalind über diese Nachricht wundern, sich den Wünschen ihres Bruders jedoch fügen. Ein wenig bedauerte Susan, sogar Rosalind die Wahrheit verschweigen zu müssen, denn diese liebte Anabell fast wie eine eigene Tochter. Es würde für Rosalind ein schwerer Schlag sein, wenn Edward ihr in ein paar Wochen mitteilte, Anabell wäre gestorben.
    In dieser Nacht machte Susan kein Auge zu. Freude, den Kampf um ihre Tochter gewonnen zu haben, wollte sich nicht einstellen. Anders als damals bei Jimmy, als Paul starb und der Junge zu ihr kam, fühlte sie keine tiefe Befriedigung, obwohl sie Anabell von ganzem Herzen liebte und jede Begegnung mit dem Mädchen herbeisehnte.
    Am Morgen hing dichter Nebel über der Küste, und es war empfindlich kalt. Sie bat Daniel, der sie begleiten wollte, in Polperro zu warten.
    »Ich möchte zuerst allein nach Sumerhays gehen. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
    Obwohl Daniel vorschlug, eine

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