Das Lied der Luege
Schmuggelei Einhalt geboten werden. »Nun, dann möchte ich euch nicht länger aufhalten«, fuhr er fort und stieg wieder in die Kutsche.
Entsetzt hatte Lavinia den Vorfall schweigend verfolgt. Als die Kutsche anfuhr, sagte sie aufgeregt zu ihrem Mann: »Du kannst doch nicht zulassen, dass sie den Jungen nach Bodmin bringen! Er wird dort gehängt werden.«
Edward zuckte mit den Schultern. »Das ist die übliche Strafe, die auf Schmuggeln steht. Wenn er schuldig ist, dann geschieht es ihm recht. Er hat gewusst, wie mit Schmugglern verfahren wird.«
»Er ist noch ein halbes Kind.« Entrüstet starrte Lavinia ihren Mann an. »Handelt es sich nicht um den Jungen eines deiner Pächter? Vielleicht ist er schuldig, trotzdem solltest du dich für ihn verwenden.«
Stirnrunzelnd, eine Falte des Ärgers über der Nasenwurzel, erwiderte Edward: »Halt dich aus der Sache raus, Lavinia. Der Junge ist alt genug, um zu wissen, auf was er sich einließ.«
»Aber Edward …«
»Ich möchte nichts mehr hören!« Barsch schnitt er Lavinia das Wort ab. »Du bist eine Frau und hast keine Ahnung, wie man einen Besitz führt. Wenn ich mich für den Jungen verwende, so gleicht das einem Freibrief für andere Strolche, auf meinem Grund und Boden Schindluder zu treiben. Als Nächstes werden sie sich an fremdem Eigentum vergreifen oder gar Einbrüche begehen.«
Lavinia schwieg, bis sie Sumerhays erreicht hatten. Sie wusste, wann es besser war, den Mund zu halten, denn Edward konnte sehr böse werden, wenn man ihm widersprach. Die Erinnerung an den Ausdruck der Verzweiflung auf dem Gesicht des Jungen ließ sie allerdings nicht los. Im Morgengrauen des folgenden Tages nahm sie den Einspänner und fuhr allein nach Bodmin. Lavinia wusste, Edward würde ihr eine schreckliche Szene machen, wenn ihre Mission jedoch gelang, wäre dies den Streit wert. Ennis Nankerris hatte die Nacht in einer feuchten Zelle verbracht und sollte in den nächsten Stunden dem Richter vorgeführt werden. Da Schmuggel in Cornwall an der Tagesordnung war, gab es keinen langen Prozess. Der Angeklagte erhielt zwar einen Rechtsbeistand, der jedoch nur ein paar schwache Versuche einer Verteidigung unternahm, da das Vergehen eindeutig war, und das Urteil wurde schnell gefällt: Tod durch Erhängen. Noch vor Sonnenuntergang würde Ennis Nankerris im Gefängnis von Bodmin hingerichtet werden.
Lavinia flehte und bettelte, beschwor den Richter, nicht ein Kind zu verurteilen, das sich der Tragweite seines Handelns nicht bewusst war. Erst als sie dem Richter ihre handtellergroße Brosche mit zwölf fein geschliffenen Diamanten und einem Rubin in der Mitte anbot, war der gestrenge Herr bereit, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Das Gehalt eines Richters in Cornwall war gering, so dass die Herren des Gesetzes gerne bereit waren, beide Augen zuzudrücken, wenn sie damit ihr Einkommen aufbessern konnten.
»Sie verbürgen sich höchstpersönlich für den Mann.« Streng musterte der Richter die Dame. Selbstverständlich kannte er den Viscount und die Viscountess von Tredary, wenngleich er noch nie jemandem aus der Familie persönlich begegnet war. »Sollte er je wieder mit dem Gesetz in Konflikt kommen, ganz besonders, was die Schmuggelei angeht, haften Sie persönlich für ihn.«
Lavinia hatte keine Ahnung, welche Konsequenzen sich für sie aus einer erneuten Straffälligkeit von Ennis Nankerris ergeben könnten, war jedoch sofort bereit, für den Jungen zu bürgen. Eine Stunde später konnte sie Ennis mitnehmen. Sie brachte ihn nach Hause auf die Park Farm, wo er sich stammelnd und mit unbeholfenen Worten bei Lavinia bedankte. Anders seine Mutter. Als Caja Nankerris erfuhr, was geschehen war, sank sie auf die Knie und versuchte, Lavinias Rocksaum zu küssen. Diese wehrte sie verlegen ab.
»Es ist nicht nötig, dass der Viscount oder Ihr Mann von der Sache erfahren«, sagte Lavinia. »Reden Sie Ihrem Sohn ins Gewissen, er möge künftig die Finger vom Schmuggeln lassen und sich eine anständige Arbeit suchen.«
Caja nickte mit Tränen in den Augen.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Viscountess. Meine Familie und ich stehen für immer in Ihrer Schuld, Mylady.«
»Stehen Sie auf, und seien Sie nicht so theatralisch.« Barsch wehrte Lavinia weitere Dankesbezeugungen ab. »Ich habe nur getan, was jede andere Frau auch getan hätte. Niemand kann es zulassen, dass ein Junge in Ennis’ Alter wegen einer jugendlichen Dummheit gehängt wird.«
»Trotzdem, Mylady, wenn es
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