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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Doktor van Roosen aufzusuchen oder ihn nach Sumerhays zu bitten.
    »Nächste Woche fahre ich nach Looe, Mutter.« Mit einem unschuldigen Blick sah Lavinia auf. »Ganz bestimmt, ich verspreche es dir, wenngleich ich denke, dass ein wenig Schwäche in meinem Zustand völlig normal ist.«
    Zenobia nickte und gab sich mit Lavinias Versprechen zufrieden.
    Sie saßen gerade beim Abendessen, als Basil Windle eintrat.
    »Verzeihen Sie, Mylady, ein Bote aus Liskeard hat gerade ein Telegramm gebracht.«
    Er legte das Kuvert achtlos neben Zenobias Teller und zog sich mit einer Verbeugung wieder zurück. Zenobia schürzte die Lippen und sah ihre Schwiegertochter vorwurfsvoll an.
    »Es ist unhaltbar, dass du hier ohne Butler bist. Auch auf dem Land müssen gewisse Formen gewahrt bleiben, und es kann nicht angehen, dass ein Hausmeister die Post einfach auf den Tisch legt, anstatt sie, wie üblich, auf einem Silbertablett zu überreichen.«
    »Ja, Mutter«, antwortete Lavinia mit klopfendem Herzen. »Möchtest du das Telegramm nicht öffnen? Es ist hoffentlich keine schlechte Nachricht.«
    Während Zenobia den Umschlag aufschlitzte, fuhr sie fort: »Wenn Monkton in London für Edward unabkömmlich ist, was ich zu einem gewissen Grad verstehe, dann müssen wir sehen, ob wir hier einen geeigneten Ersatz finden. Das wird auf dem Land nicht einfach sein, aber gleich morgen kümmere ich mich darum, einen kompetenten Butler einzustellen.«
    Die letzten Worte hatte sie gesagt, während ihre Augen schon die ersten Wörter des Telegramms überflogen. Plötzlich wurde sie kreideweiß, und ihre Hände zitterten unkontrolliert.
    »Mutter? Was ist?« Lavinia war bemüht, einen unschuldigen Eindruck zu vermitteln, denn sie ahnte, was in dem Telegramm stand.
    »Archibald … er hatte … einen Unfall.« Zenobia stand auf, das Blatt Papier fiel aus ihrer Hand. »Ich muss sofort nach Hause.«
    Lavinia nahm das Telegramm auf und las:
    MYLORD HEDDINGHAM AUF TREPPE GESTÜRZT +++ ZUSTAND KRITISCH +++ IHRE ANWESENHEIT ERFORDERLICH +++ IN SORGE PHILLIPS
    »Oh, das ist ja schrecklich!« Lavinia legte einen Arm um Zenobias Schultern. »Du darfst dir aber keine zu großen Sorgen machen, wahrscheinlich klingt es schlimmer, als es ist.«
    »Phillips würde mir nicht telegrafieren, wenn Archibalds Zustand nicht ernst wäre.« Benedict Phillips war der Verwalter von Heddingham und ein treuer und zuverlässiger Mann. »Ich werde sofort packen.«
    »Ich helfe dir«, bot sich Lavinia an. Zenobia schüttelte den Kopf.
    »Du musst dich schonen, Mrs. Windle kann mir helfen. Ihr Mann soll herausfinden, wann morgen der erste Zug nach London fährt. Er soll auch die Fahrpläne ab Plymouth überprüfen, ob es von dort eine schnellere Verbindung gibt, und die Kutsche bereithalten.«
    »Ja, Mutter«, antwortete Lavinia und vermied es, Zenobia direkt in die Augen zu sehen. Sie kannte den Verwalter von Ravenwood nur flüchtig, wusste jedoch, dass er ruhig und besonnen war und nicht zu Übertreibungen neigte. Wenn er telegrafierte, dass Archibald Heddinghams Zustand kritisch wäre, so gab das Anlass zur Sorge.
    Die Hand bereits auf der Türklinke, sagte Zenobia: »Es ist bedauerlich, dass Sumerhays noch keinen Telefonanschluss hat, dann könnte ich anrufen und fragen, wie es um Archibald steht. Manchmal sind die Errungenschaften der Technik gar nicht so schlecht. Ich werde Edward bitten, so schnell wie möglich einen Anschluss installieren zu lassen.«
    Nachdem Zenobia das Speisezimmer verlassen hatte, sank Lavinia auf einen Stuhl. Ihre Hände zitterten, als sie zum Weinglas griff und einen Schluck trank. Das hatte sie nicht gewollt! Archibald sollte keinesfalls so schwer verletzt werden, dass sein Leben in Gefahr war, sondern lediglich einen kleinen Unfall erleiden, der Zenobia zwang, zu ihrem Mann zurückzukehren. Diesbezüglich hatte sie Caja genaue Anweisungen gegeben. Archibald war jedoch ein alter Mann und Ennis ein junger und kräftiger Bursche. Wahrscheinlich war der Schubs, den der Junge ihm gegeben hatte, zu heftig gewesen. Lavinia schlug die Hände vors Gesicht. Sie hatte nicht geahnt, was ihr Vorhaben, das Kind einer anderen Frau als ihr eigenes auszugeben, für eine Kettenreaktion auslösen würde, dabei hatte sie doch alles so gut durchdacht. Jede Eventualität konnte man jedoch nicht ausschließen. Nun, sie hatte ihr Ziel erreicht, und Zenobia würde abreisen. Wenn Archibald jedoch sterben sollte, dann würde Lavinia sich das niemals verzeihen

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