Das Lied der Luege
führt den Haushalt. Damit ist sie beschäftigt und verfällt erst gar nicht auf solch irrsinnige Ideen.«
Lavinia war über Edwards rüde Sprache schockiert und errötete. Leise wandte sie ein: »Soviel ich weiß, ist Mrs. Pankhurst verwitwet und hat fünf Kinder geboren. Ich glaube nicht, dass sie bisher ein unausgefülltes Dasein geführt hat.«
Edward packte Lavinia an den Schultern und schüttelte sie. Seine Lippen waren zwei schmale Striche, als er zischte: »Wenn du noch einmal diesen Namen in meinem Haus nennst, dann vergesse ich mich.«
Lavinia senkte den Kopf und nickte. Edwards Wutausbrüche waren ihr bekannt, und sie tat alles, um einen solchen zu vermeiden. Eigentlich interessierte sie sich gar nicht für die Frauenrechtlerin und glaubte auch nicht, dass deren Vorstellungen Erfolg haben könnten. Diese Emmeline Pankhurst war es nicht wert, mit Edward in Streit zu geraten.
»Es tut mir leid«, sagte sie leise und sah Edward um Verzeihung bittend an. »Ich habe gleich ein Treffen mit dem Komitee des Waisenhauses von St. Mary-in-Common. Ein Ausbau der Schlafsäle ist nötig, und wir müssen überlegen, wie wir das dafür erforderliche Geld zusammenbekommen können. Wenn du mich bitte entschuldigen würdest, ich muss mich noch umkleiden.«
Edward ließ sie los und nickte. »Das ist eine sinnvolle Aufgabe, mit der sich Frauen deiner Klasse beschäftigen sollten. Zumindest, solange sie keine eigenen Kinder haben.«
Lavinia war regelrecht aus dem Zimmer geflohen. Edwards Verhalten und seine Worte hatten sie verletzt, und sie musste sich erst mit kaltem Wasser das Gesicht kühlen, bevor sie zu der Sitzung fahren konnte.
Die Erinnerung an diese kleine Szene schoss Lavinia durch den Kopf, als sie aus dem Fenster schaute. Seit Monaten hatte sie von Emmeline Pankhurst weder etwas gehört noch gelesen und auch nicht mehr an die Frauenrechtlerin gedacht, jetzt jedoch fragte sie sich, ob die Suffragetten – wie die Frauen um Mrs. Pankhurst auch genannt wurden – es tatsächlich schafften, mehr Rechte für die Frauen zu erwirken. Eine völlige Gleichberechtigung gegenüber Männern oder gar das Wahlrecht für Frauen war natürlich Unsinn und fern jeglicher Realität.
Nun, sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, die mit ihr nicht das Geringste zu tun hatten, war Zeitverschwendung. Für Lavinia war es wichtiger, ihrer Schwiegermutter die schwache und schonungsbedürftige Schwangere vorzuspielen und zu hoffen, dass Zenobia keinen Verdacht schöpfte.
Der Trick mit dem Kissen in ihrem Korsett funktionierte. Da man in der Öffentlichkeit niemals über Schwangerschaften sprach und so tat, als sehe man den wachsenden Bauch einer Schwangeren nicht, absolvierte Lavinia an der Seite Zenobias in den nächsten Wochen einige Pflichtbesuche in der Nachbarschaft. Sie blieben nie lange, nur zu einer oder zwei Tassen Tee, und wieder zurück auf Sumerhays, zog sich Lavinia rasch in ihr Zimmer zurück.
»Der Besuch hat mich erschöpft«, sagte sie mit leiser Stimme und legte eine Hand auf die Stirn. »Du weißt, ich darf mich nicht anstrengen.«
Zenobia, die um Lavinias Wohl – und noch mehr um das Wohl des ungeborenen Kindes – besorgt war, akzeptierte, dass Lavinia das Abendessen in ihrem Zimmer allein einnahm und früh zu Bett ging. Da Zenobia eine Spätaufsteherin war, ging Lavinia fast jeden Morgen eine oder zwei Stunden spazieren. Meistens war es noch dunkel, und der fortschreitende Winter brachte auch Kälte nach Cornwall, doch Lavinia musste einfach hinaus, sonst würde sie wahnsinnig werden. Sie war Untätigkeit nicht gewohnt, musste jedoch die Maskerade der erschöpften und ruhebedürftigen Schwangeren aufrechterhalten. Etwa alle zwei Wochen steckte sie ein etwas größeres Kissen in ihr Korsett, so dass es aussah, als würde sich ihr Bauch mit der Zeit tatsächlich immer mehr runden.
Weihnachten verbrachten Lavinia und Zenobia allein. Von Edward kam ein Brief, in dem er sein Bedauern, das Fest nicht im Kreise seiner Familie verbringen zu können, ausdrückte und mit dem er Lavinia ein Smaragdarmband als Weihnachtsgeschenk übersandte. Obwohl das Schmuckstück geschmackvoll und bestimmt sehr teuer gewesen war, bedeutete es Lavinia nichts. Zwischen den Zeilen in Edwards Brief las sie heraus, dass er froh war, nicht auf dem Land zu sein, sondern die Festtage in der pulsierenden Großstadt zu verbringen. Edward war zwar der Herr von Sumerhays, und er kümmerte sich um den Besitz, wie es sich
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