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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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können.
     
    Archibald Heddingham starb nicht, er würde jedoch für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen müssen. Die Nachricht erreichte Lavinia vier Tage nach Zenobias Abreise. Dem Telegramm folgte einige Zeit später ein ausführlicher Brief, in dem Zenobia schrieb, dass eines der Hausmädchen ihren Herrn in den frühen Morgenstunden am Fuße der Treppe in der Halle gefunden hatte.
    Keiner weiß, wann und warum Archibald gestürzt ist, denn er war weder schlecht zu Fuß, noch litt er an Schwindelanfällen
    schrieb Zenobia in ihrer steilen, energischen Handschrift.
    Da er eine Gehirnerschütterung erlitten hat, kann er sich an nichts erinnern. Sein Rückgrat ist bei dem Sturz gebrochen, und Archibald kann von Glück sagen, dass er überlebt hat. Er braucht nun rund um die Uhr Hilfe und Pflege. Du verstehst, liebste Lavinia, dass ich dies nicht einer fremden Pflegerin überlassen, sondern mich selbst um meinen Mann kümmern möchte. Aus diesem Grund kann ich nicht mehr nach Sumerhays zurückkehren, zumindest nicht in den nächsten Monaten. Ich hoffe, Du hast Doktor van Roosen zwischenzeitlich konsultiert und achtest auf Deine Gesundheit. Wenn es Archibalds Zustand zulässt, werde ich selbstverständlich zur Taufe kommen …
    Es folgten noch ein paar Sätze, in denen sich Zenobia über die Vor- und Nachteile einer Tauffeier in Cornwall, oder doch besser in London ausließ, und jede Menge gute Ratschläge für Lavinia.
    Lavinia ließ den Brief sinken und schloss die Augen. Das hatte sie nicht gewollt, dennoch fühlte sie sich unendlich erleichtert. Die letzten Wochen, bis Susan das Kind bekam, würde sie sich jetzt vollständig zurückziehen und keine Besuche mehr machen oder empfangen. Das Risiko, so kurz vor Ende doch noch entlarvt zu werden, war einfach zu groß.

6. Kapitel
    S usan Hexton erfuhr von den Ereignissen auf Sumerhays nur wenig. Für sie, seit der Kindheit an harte und unermüdliche Arbeit gewohnt, vergingen die Tage zäh und eintönig, und die viele Ruhe machte sie eher nervös, als dass sie sich entspannte, zumal sie durch die Schwangerschaft auch keine gesundheitlichen Probleme hatte. Wenn es das Wetter zuließ, unternahm sie stundenlange Spaziergänge, die sie fast immer ans Meer führten. Oft setzte sie sich auf einen Felsen und beobachtete stundenlang das brausende Meer, das unablässig gegen die Klippen peitschte. Solange die Sonne schien, wurde es Susan auch nicht zu kalt, doch als sich das Wetter änderte und Sturm und Regen über Cornwall zogen, war sie gezwungen, die meiste Zeit im Cottage zu verbringen. Caja brachte ihr jeden Abend einen Topf mit Essen, das sich Susan auf dem Herd aufwärmte, und untersuchte sie regelmäßig. Sonst sprachen die beiden Frauen aber kaum miteinander. Alle zwei Wochen fragte Max, ob er ihr etwas aus Polperro oder Looe mitbringen konnte, nie jedoch, ob sie ihn noch einmal begleiten wollte, und Susan mochte nicht darum bitten, denn der Weg in die Fischerdörfer war nicht weit, und so beschloss sie eine Woche vor Weihnachten, zu Fuß nach Polperro zu gehen. Es war ein milder Tag, und Susan genoss das Herumschlendern in den engen Gassen des Fischerdorfes. Sie war zwar sechs Stunden unterwegs, bis sie am Spätnachmittag wieder zurück auf der Farm war, aber der lange Spaziergang hatte Susan gutgetan. In dieser Nacht schlief sie so tief wie lange nicht mehr.
    Den Weihnachtstag verbrachte Susan zusammen mit den Nankerris, da Caja sie überraschend ins Farmhaus eingeladen hatte. Zuerst war es Susan etwas bang gewesen, denn sie fürchtete, es würde ein langweiliger Tag werden, aber die Stunden verliefen wider Erwarten in froher Stimmung. Caja und Denzil, beide eingefleischte Cornwaller, hielten nicht viel von der neumodischen Art, Weihnachten zu feiern, wie Caja sich ausdrückte, sondern begingen das Fest nach alter Tradition. Anstelle eines Weihnachtsbaums wurde das Farmhaus mit Mistel- und Stechpalmenzweigen geschmückt, Caja buk den traditionellen Weihnachtspudding, in dem sie einen Penny versteckte, am Abend brannte der Julscheit im Kamin, und sie aßen einen mit aromatischen Gewürzen gefüllten Truthahn. Susan erhielt als Geschenk eine von Caja handgenähte Decke, während sie der Familie ebenfalls kleine Geschenke überreichte, die sie vorsorglich in Polperro besorgt hatte: für Caja drei bestickte Taschentücher, Denzil bekam ein Päckchen Pfeifentabak, über das er sich sehr freute, die Jungen jeweils einen neuen Gürtel und Mae ein buntes Halstuch.

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