Das Lied der Luege
Mann, ein Minenarbeiter, kann kaum die Familie ernähren. Für ihre Dienste erhält sie so viel Lohn, wie ihr Mann in einem Jahr verdient.«
»Was geschieht jetzt?«
Mit einem kalten Blick sah Caja Susan an. »Sie können noch drei, vier Tage bleiben, bis Sie sich erholt haben. Dann werden Sie Cornwall verlassen. Ich nehme an, Sie werden nach London zurückgehen.«
»Kann ich …« Susan zögerte, platzte dann jedoch heraus: »Ich möchte mein Kind sehen.«
»Ihr Kind?« Caja lachte spöttisch. »Sie haben kein Kind. Wenn Sie die kleine Countess Tredary meinen, dann glaube ich nicht, dass Mylady Sie in die Nähe ihres eben geborenen Babys lässt.«
»Aber ich möchte sie nur ein Mal sehen«, bettelte Susan. »Nur einen Augenblick, damit ich weiß, wie sie aussieht.«
Caja gab keine Antwort und ging, die Arme voll schmutziger Wäsche, zur Tür. Susan begann zu verstehen. Mit einem Seufzer sank sie in das Kissen zurück. Vor einer Stunde hatte sie einem Kind das Leben geschenkt, doch ab dem Moment, als die Kleine ihren ersten Schrei getan hatte, war das Baby zu Lavinias Kind geworden. Sie, die leibliche Mutter, hatte kein Recht an dem Baby und würde es niemals wiedersehen. Susans Augen füllten sich mit Tränen, die sie rasch fortwischte. Die sentimentale Stimmung war sicher nur auf die Geburt zurückzuführen, denn sie hatte dieses Kind niemals gewollt und sollte froh sein, es weggegeben zu haben. Sumerhays war ein prachtvoller Besitz, und die Callingtons waren eine vermögende und einflussreiche Familie. Hier würde es dem Mädchen gutgehen. Es würde von Liebe und Sicherheit umgeben aufwachsen, die besten Schulen des Landes, später vielleicht sogar in Frankreich oder in der Schweiz, besuchen, bei Hofe vorgestellt werden und irgendwann einen Mann ihrer Gesellschaftsschicht heiraten. Was dagegen hätte sie, Susan, dem Kind bieten können? Einen Vater, der sie erpresst hatte, mit ihm zu schlafen, und den Susan aus ganzem Herzen verabscheute. Dann war da noch Paul – ihr Ehemann, der sie halb totgeprügelt hätte, wenn er von ihrer Schwangerschaft erfahren hätte. Auch wenn sie mit Paul und dem Kind wieder in einer ehelichen Gemeinschaft gelebt hätte – früher oder später würde Paul wieder im Gefängnis landen, denn er war für ehrliche Arbeit nicht geschaffen. Ihr Leben würde von früh bis spät aus harter, unermüdlicher Arbeit bestehen, doch sosehr sie auch schuftete – das Geld würde niemals reichen. Das Mädchen würde keine Schule besuchen können, sondern mit zehn oder elf Jahren selbst für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, so, wie sie es auch hatte tun müssen.
Susan schüttelte den Kopf. Fort mit diesen Gedanken! Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Nächste Woche würde sie ihren Sohn holen und sich dann nach einem kleinen Laden umsehen. Vielleicht ein Blumengeschäft oder etwas mit Konfekt wäre auch nicht schlecht, denn Susan liebte Schokolade. Den Laden wollte sie aber nicht am südlichen Ufer der Themse eröffnen, sondern in einer Gegend, in der die feinen und reichen Leute verkehrten. Vielleicht in Kensington, Chelsea oder gar in Mayfair? Susan gelang es, zu schmunzeln. Nun, diese Bezirke waren vielleicht etwas übertrieben, aber rund um Covent Garden würde sie bestimmt fündig werden. Sie schloss die Augen und malte sich aus, wie sie ihr künftiges Geschäft und die darüberliegende Wohnung einrichten würde. Natürlich erhielt Jimmy ein eigenes Zimmer, und sie wollte ihm eine Holzeisenbahn kaufen. Über solch positiven Gedanken schlief Susan bald ein, während ein Stockwerk tiefer im Ostflügel Lavinia voller Stolz zum ersten Mal
ihr
Kind wickelte. Das würde künftig natürlich ein Kindermädchen machen, aber ein solches musste Lavinia erst noch einstellen. Die nächsten Tage wollte sie ihr Mutterglück mit niemandem außer der Amme teilen.
Basil Windle war nach Looe geritten, um Telegramme an Zenobia und Edward aufzugeben. Lavinia wusste, ein Besuch beider würde nicht lange auf sich warten lassen, aber sie war bereit, ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter das neue Familienmitglied zu präsentieren. Zuerst war sie enttäuscht gewesen, dass Susan keinen Jungen geboren hatte, doch bereits nach wenigen Minuten hatte Lavinia das Mädchen in ihr Herz geschlossen. Sie war sich sicher, auch Edward würde seine Tochter lieben. Außerdem – eines Tages konnte ein Mädchen gut verheiratet werden und damit das Vermögen der Tredarys vermehren. Lavinia drückte das Baby
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