Das Lied der Maori
Bett gekommen, aber da hatte sie tief und fest geschlafen. Auch Kura kannte keine Eifersucht; dazu war sie sich ihrer selbst zu sicher. Nun protestierte sie heftig gegen den eiligen Aufbruch, konnte sich aber nicht durchsetzen.
»Der Kerl will dich sowieso nicht anhören, nur lüstern anstarren«, erklärte William seiner lamentierenden Frau. »Ob er das tut oder nicht, ist egal. Mit der Schur können sie aber nicht ohne mich anfangen. Das heißt ... sie können natürlich schon, aber ich würde vor den Viehtreibern das Gesicht verlieren. Wie sieht denn das aus? Der künftige Herr auf Kiward Station hängt am Rockzipfel einer Möchtegerndiva, und die anderen machen die Arbeit!«
Mit der »Möchtegerndiva« hatte er Kura zutiefst verletzt, was ihm zumindest eine ruhige Reise bescherte. Sie schwieg eingeschnappt und wechselte nur mal ein paar Worte mit Heather. Dabei kamen sie rasch vorwärts. William fuhr zwei Cobs vor einer leichten Chaise, und in den letzten Jahren waren die Wege erheblich besser ausgebaut worden. Man brauchte längst keine Übernachtung mehr einzurechnen, wenn man von Christchurch nach Haldon fuhr.
Die Reisenden erreichten Kiward Station denn auch am frühen Abend, und William meldete sich beinahe triumphierend zur Schafschur zurück. Gleich am kommenden Morgen würde er die Verteilung der Schafe auf die Schuppen überwachen. Die Nacht begann er jedoch mit ein paar Whiskys im Salon – und beendete sie im Bett von Heather Witherspoon.
Heather, ganz erfüllt von der Liebe mit William, wusste nicht, wie sie auf Kuras Beschwerden über das entgangene Vorsingen reagieren sollte. Sie wollte auf keinen Fall, dass Kura nach England ging – zumindest nicht gemeinsam mit William. Aber Kura hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie Kiward Station ohne William nicht mehr zu verlassen gedachte. Andererseits hatte sich seitdem vieles geändert. Heather war Kuras Vertraute; sie wusste sehr wohl, dass sie ihren Mann seit Glorias Geburt nicht mehr in ihr Bett ließ. Was sonst noch geschehen war, vor allem Kuras anfängliche Versuche, die sexuelle Beziehung zu William wieder auf das harmlose Streicheln und Küssen zurückzuschrauben, wie sie es einst mit Tiare erlebt hatte, war ihr zwar nicht zu Ohren gekommen, aber die Einzelheiten interessierten sie auch nicht. Heathers Meinung nach war Kuras Ehe mit William faktisch beendet. Vielleicht würde Kura ja tatsächlich die Konsequenzen ziehen und ihren Mann verlassen. Das Vorsingen in Christchurch mochte der erste Schritt dorthin sein. Deshalb riet sie dem Mädchen vorsichtig zu.
»Du darfst dir natürlich keine großen Hoffnungen machen. Aber sich einmal anhören, was ein Fachmann sagt, kann zumindest nicht schaden.«
»Dazu hätte ich in Christchurch bleiben müssen ... William ist so gemein!« Kura begann das Lamento erneut, das Heather nun schon den ganzen Morgen über sich ergehen lassen musste. Aber dann hatte Heather den Geistesblitz, die Noten zu einigen Stücken herauszusuchen, die sie am Abend zuvor gehört hatten. Kura übte von da an verbissen. Wieder und wieder sang sie die Partien der Carmen und der Azucena.
»Ich hätte diese Carmen spätestens im zweiten Akt erstochen, oder am besten gleich in der ersten Szene«, murmelte James, als die
Habanera
zum dritten Mal durch den Salon schallte, während er versuchte, sich nach dem Essen ein wenig zu entspannen. Er war sowieso verärgert; Williams verfrühte Heimkehr passte ihm gar nicht in den Kram. Und dazu war der junge Mann an diesem Morgen auch noch ziemlich verkatert und steif nach der Reise. Schlecht gelaunt hatte er die Leute herumgestoßen, die Schafe in Verwirrung gestürzt, indem er plötzlich die Herden anders aufteilte, und James mit all dem zur Weißglut gebracht. Da fehlte es ihm nur noch, dass Kura seit Stunden von Liebe und rebellischen Vögeln sang. Ein ums andere Mal das gleiche Stück.
»Was soll das denn jetzt? Hat sie nicht vor drei Tagen noch erklärt, sie müsse dringend ihr Deutsch üben, weil man Schubert-Lieder auf Englisch irgendwie nicht singen kann? Aber das ist doch jetzt Französisch, oder?«
Französisch hatte Kura bei Miss Weatherspoon gelernt.
»Das haben sie vorgestern in Christchurch gehört, und angeblich soll die Sängerin furchtbar schlecht gewesen sein«, erklärte Gwyneira und erzählte denn auch gleich die Sache mit dem Vorsingen. »Kura will, dass ich ihr einen Mann und einen Wagen zur Verfügung stelle, damit sie diesen Sänger – oder
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