Das Lied der Maori
schlechtes Gewissen, weil Tiare sich Owen genommen hat, ohne zu fragen.«
»Vielleicht hat sie Gloria vorher besucht«, meinte Gwyn, um ihre Enkelin nicht als gar so schlechte Mutter dastehen zu lassen.
Jack schüttelte den Kopf. »Nö, Glory hat bei mir geschlafen, die hab ich eben erst bei Kiri in der Küche abgesetzt. Und Kiri hat auch nichts gesagt.«
»Und du hast sie den Hengst einfach so nehmen lassen?«, fuhr William ihn an. »Der Maori-Junge kommt hier rein, nimmt sich ein wertvolles Pferd und ...«
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie nicht gefragt haben«, meinte Jack gelassen. »Aber Tiare bringt ihn bestimmt wieder. Die sind doch sicher nur nach Christchurch gefahren, zu ihrem komischen Vorsingen. Morgen sind die wieder da.«
»Das nicht glauben ich ...«, bemerkte Moana. Die Haushälterin hatte den Frühstückstisch gedeckt, als William mit der Nachricht von Kuras Verschwinden nach unten kam. Dann war sie aber gleich hinaufgegangen, um ihre Sachen zu inspizieren, wobei sie keinerlei Hemmungen hatte. Moana diente seit vierzig Jahren in diesem Haus, sie hatte Marama und Paul mit aufgezogen, und Kura war für sie wie eine eigene, reichlich verwöhnte Enkeltochter. »Sie mitgenommen große Tasche, alle schönen Sachen, auch Abendkleider. Sieht mehr aus nach große Reise.«
Roderick Barrister trommelte das Ensemble kurz vor dem letzten Opernabend in Christchurch zu einer Probe zusammen. Sie mussten dieses Quartett aus dem Troubadour noch mal üben; so langsam wurde es peinlich. Zumal seine Azucena immer schlimmer wurde. Das Mädchen fühlte sich überfordert, litt wohl auch unter dem Spott der anderen Tänzer ... und dann war da noch diese andere Sache ... man würde bald etwas arrangieren müssen. Roderick fragte sich, wie ihm das passieren konnte. Bisher hatte er nie eine seiner vielen Liebschaften geschwängert; zumindest hatte es ihm keine gesagt.
Dabei war das Totalversagen der Kleinen im Troubadour noch erträglich – schlimmer war die Szene aus Carmen. Am besten strich er die ganz und suchte sich irgendetwas anderes. La Traviata vielleicht; das konnte er mit Sabina inszenieren. Obwohl die mit der Rolle auch überfordert wäre und nun wirklich nicht schwindsüchtig aussah ...
»Vielleicht, wenn wir die Frauen ein Stückchen weiter vorne platzieren ...«, überlegte er jetzt. »Dann kommt ein bisschen mehr von dem Gesang rüber.«
»Oder die Männer könnten einfach etwas leiser singen«, bemerkte Sabina boshaft. »
Piano
, mein Freund. Das sollte auch in den höheren Tonlagen gehen, wenn man sich Tenor nennt ...«
In das darauf einsetzende Protestgeschrei des Luna-Darstellers und Rodericks eigenes Lamento mischte sich das Gekicher der Tänzer, die sich langsam zu ihrem Auftritt einfanden.
Und dann erklang plötzlich eine süße Stimme irgendwo aus dem Zuschauerraum.
»L’Amour est un oiseau rebelle, que nul ne peut apprivoiser ...«
Carmen, die
Habanera
. Aber vorgetragen von einer weitaus stärkeren Stimme als der der kleinen Tänzerin. Zwar war auch diese Sängerin nicht perfekt, aber was hier fehlte, war nur Schliff, Stimmbildung, ein bisschen Ausbildung. Die Stimme als solche war glänzend.
Roderick und die anderen Sänger blickten verwirrt und angespannt in den Saal. Dann sahen sie das Mädchen. Wunderschön in einem azurblauen Kleid, das Haar mit einem spanischen Kamm zurückgesteckt, wie Carmen ihn wohl getragen haben musste. Hinter ihr wartete ein Maori-Junge.
Kura-maro-tini sang ihr Lied gelassen und selbstbewusst zu Ende – oder erkannte sie schon die Bewunderung in den Augen ihrer Zuhörer? Die Sänger auf und die Tänzer hinter der Bühne konnten sich jedenfalls nicht bezähmen. Sie klatschten begeistert, als Kura geendet hatte – allen voran die kleine Mezzosopranistin, die hier wohl das Ende ihrer Leiden kommen sah, und Roderick Barrister. Dieses Mädchen war ein Traum – bildschön, eine Stimme wie ein Engel. Und er würde sie formen!
»Ich brauche ein Engagement«, sagte Kura schließlich. »Und wie es aussieht, brauchen Sie einen Mezzosopran. Können wir da wohl zusammenkommen?«
Sie leckte sich lasziv die Lippen und hielt sich gerade wie eine Königin. Ihr Hände spielten mit imaginären Kastagnetten; sie hatte ihre Carmen studiert. Und sie würde diesen »Impresario« genauso um den Finger wickeln wie die Zigeunerin ihren Don José.
11
Der Gedanke, auf keinen Fall schwanger zu werden, beherrschte Elaines ganzes Leben. Manchmal schien es fast zur
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