Das Lied der Maori
einerseits enttäuscht, andererseits fasste sie Hoffnung. Dieses Mädchen, das da jetzt die Azucena und vorhin die Carmen wie Krähen krächzen ließ, kam an ihre eigenen Fähigkeiten nicht annähernd heran! Und diese Sopranistin! Aber der Tenor gefiel Kura. Gut, auch er traf nicht jeden Ton, aber vielleicht lag das ja an der Schwäche seiner Partnerinnen. Auf jeden Fall brachte er Kuras Herz zum Singen – sie hätte am liebsten mit eingestimmt, als seine Carmen im Duett kläglich versagte, und sie hätte sich sogar zugetraut, die Pamina besser hinzukriegen als diese Sabina. Außerdem sah der Mann gut aus, genau so, wie sie sich Manrico und Pamino und wie sie alle hießen immer vorgestellt hatte. Kura wusste, dass die Aufführung drittklassig war, aber sie hatte sich noch nie etwas so sehr gewünscht, wie hier auf der Bühne zu stehen.
Heather Witherspoon hatte die Qualität der Sänger ebenfalls einordnen können, aber sie war ganz mit ihrer Verliebtheit beschäftigt. William saß zwischen ihr und Kura – wie leicht konnte sie sich da vorstellen, er gehöre zu ihr und würde anschließend mit ihr auf den Empfang gehen, den George Greenwood für die wichtigsten Besucher und die Sänger ausrichtete. Aber hier waren natürlich nur William und Kura geladen. Trotzdem: Für zwei Stunden träumte Heather sich in eine andere Welt, und da war es ihr gleichgültig, ob die Leute da oben die Töne trafen oder nicht.
William hätte sich bei besagtem Empfang nach ihrer Gesellschaft gesehnt. Tatsächlich langweilte er sich zu Tode, denn außer den Greenwoods waren kaum interessante Leute zugegen. Anscheinend interessierten sich die Schafbarone der Plains zumindest zurzeit der Schafschur nicht sehr für Gesang und Tanz. Bei den Richlands, so erzählte George, seien gerade die Schererkolonnen eingetroffen.
»Danach kommen sie wahrscheinlich nach Kiward Station«, meinte der Händler. »Werden Sie da nicht gebraucht, Mr. Martyn?«
William wäre beinahe errötet. Tatsächlich hatte Gwyneira ihm kein Wort davon gesagt, dass die Schur unmittelbar bevorstand. Wahrscheinlich wieder ein Versuch, ihn auszubooten. Bis er zurückkam, wären alle Tiere eingetrieben und bereit für die Schur – während die Viehhüter sich über den jungen Herrn die Mäuler zerrissen, der lieber Opern hörte, statt zu arbeiten.
William kochte vor Zorn, und Kuras Verhalten trug auch nicht dazu bei, ihn zu beschwichtigen. Statt wie eine brave Frau neben ihm zu bleiben – was sie sonst schon aus Desinteresse an den anderen Gästen meistens tat –, flatterte sie heute von einem der Sänger zum anderen. Besonders ein dunkelhaariger Schönling schien es ihr angetan zu haben.
»Tatsächlich? Sie singen, Miss ...?«, fragte der Mann soeben mit jenem begehrlichen Ausdruck auf dem Gesicht, den jedes Männerantlitz unweigerlich zeigte, wenn Kura zugegen war.
»Warden ... oder nein, Martyn. Mrs. Martyn.« Im letzten Moment schien Kura ihr Familienstand wieder einzufallen. Der Sänger wirkte enttäuscht. William hätte Kura verprügeln können.
Er fragte sich, ob er weiter mithören sollte, entschied dann aber, sich nicht länger selbst zu quälen. Stattdessen steuerte er auf die Bar zu. Ein Whisky würde ihn aufheitern. Und Kura konnte er auch von da aus im Auge behalten. Eifersucht verspürte William dabei nicht; er wusste, dass jeder Mann Kura auf den ersten Blick verfiel. Warum sollte es bei diesem Sänger anders sein? Und wenn er jeden Kerl fordern würde, der Kura begehrliche Blicke zuwarf, käme er vor Schlägereien und Duellen kaum noch in den Schlaf. William verließ sich auf Kura: Wenn sie ihn schon nicht in ihr Bett ließ, würde sie auch keinen anderen erhören. Und sobald sie diesen Raum verließ, wäre er ja wieder neben ihr, schon damit sie nicht auf die Idee kam, ihr gemeinsames Hotelzimmer abzuschließen.
Kura lächelte Roderick inzwischen an. Sie hatte ein atemberaubendes Lächeln ...
»Ich wollte Sängerin werden. Ich bin Mezzosopranistin. Aber dann kam mir die Liebe dazwischen ...«
»Und stahl der Welt ein Wunder wie Sie! Das hätte die Göttin der Kunst nicht zulassen dürfen ...« Roderick schmeichelte dem Mädchen, obwohl er keinen Moment an ihre außergewöhnliche Begabung glaubte. Wieder eine dieser Frauen, die ihre drei Klavierstunden maßlos überschätzte ... aber so manche von ihnen hatte sich schon bereitgefunden, zumindest ein paar Stunden lang an seinem Genie zu partizipieren. »Falls Sie es sich aber einmal anders
Weitere Kostenlose Bücher