Das Lied der Maori
fixen Idee zu werden, denn ganz nüchtern betrachtet hätte eine Schwangerschaft ihre Stellung im Hause der Sideblossoms eher verbessern können. So schien zumindest John nicht viel davon zu halten, schwangere Frauen mit nächtlichen Besuchen zu belästigen. Stattdessen war er immer häufiger abwesend, je mehr Zoés Bauch sich rundete. Seine »Geschäfte« führten ihn mal nach Wanaka, mal nach Dunedin oder gar nach Christchurch. Außerdem folgte er Emere mit Blicken und berührte sie mitunter besitzergreifend. Die Maori-Frau warf ihm daraufhin Blicke von kaum verhülltem Hass zu, aber Elaine vermutete, dass sie nachts seinem Ruf folgte. Wenn sie selbst wach lag, hörte sie oft Geräusche in den Korridoren, gespenstische Laute, als ob sich jemand hinausschleppte. Dabei bewegte Emere sich sonst sehr harmonisch, mit wiegenden Hüften und schreitendem Gang, aber auch an den Tagen danach wirkte sie steif. Und wenn sie das Haus verlassen hatte, spielte sie die
putorino
– ein sicherer Beweis dafür, dass wirklich sie es war, die sich da erst nachts nach draußen schlich, statt schon nach dem Abendessen mit den anderen Dienern in die Unterkünfte zu verschwinden. Sie entlockte dem kleinen exotischen Instrument seltsame, fast menschliche Töne, die Elaine unstet und ängstlich werden ließen, als spiegle die Flöte ihre eigene Qual. Sie wagte sich dann kaum zu rühren aus Angst, dass Thomas erwachte und das Spiel hörte, denn Emeres Musik schien stets besondere Wut in ihm zu erwecken; er stand dann auf, schloss abrupt das Fenster und versuchte, den Klang durch das Vorziehen der dicken Vorhänge noch weiter zu dämpfen. Elaine hörte die Flöte dann oft gar nicht mehr, doch Thomas schien sie weiterhin wahrzunehmen und wanderte herum wie ein Tiger im Käfig; wenn Elaine wagte, ihn anzusprechen oder sonst irgendwie auf sich aufmerksam zu machen, ließ er seine Wut und Erregung an ihr aus. Elaine begann schließlich, das Zimmer schon vorbeugend gegen jeden Laut zu dämpfen. Nur war es dann stickig und heiß, und Thomas riss die Fenster mitunter wieder auf, nachdem er sich an Elaine befriedigt hatte, und sie musste Emeres Spiel erneut fürchten. Dann aber endete auch das. Emeres Gestalt begann sich ebenso zu runden wie Zoés, und John ließ sie in Ruhe.
Elaines Aufatmen war jedoch nicht von langer Dauer. Schließlich war sie die Nächste, auf die Johns lüsterne Blicke sich konzentrierten. Mitunter streifte er beiläufig ihre Hüfte oder gar ihre Brust, wenn er an ihr vorbeiging oder so tat, als klaube er ein Blatt oder einen Grashalm aus ihrem Haar. Elaine fand das alles widerwärtig und entzog sich den Berührungen, so gut sie konnte. Wenn Thomas es mitbekam, funkelte er seinen Vater an und rächte sich hinterher an Elaine. Seiner Ansicht nach ermutigte sie praktisch jeden Mann, den sie sah, und dass sie nun auch noch seinen Vater umgarnte, sei ja wohl der Gipfel der Frechheit. Elaine konnte leugnen, soviel sie wollte, es nützte nichts. Thomas war krankhaft eifersüchtig. Elaine wurde darüber immer nervöser und verhärmter. Sie würde sich niemals an seine Eifersuchtsanfälle und seine nächtlichen Besuche gewöhnen – niemand gewöhnte sich an Folterungen! So etwas war nie und nimmer das normale Eheleben, doch Elaine fand keinen Weg, es abzustellen. Selbst wenn sie versuchte, so unauffällig wie möglich zu sein und Thomas tagsüber keine Reibungspunkte zu bieten, für die er sie dann »bestrafen« zu müssen glaubte, war es allenfalls weniger schlimm – schmerzlos war es nie.
Es erwies sich auch als kaum möglich, die »gefährlichen« Tage irgendwie zu umschiffen, obwohl Elaine entsprechende Anstrengungen unternahm. Manchmal aß sie Tage vorher nichts, um schlecht auszusehen und eine fiebrige Krankheit vorzutäuschen. Oder sie steckte den Finger in den Hals, übergab sich mehrfach und erklärte, sie hätte eine Magenverstimmung. Einmal verstieg sie sich sogar dazu, Seife zu essen, weil sie gelesen hatte, das löse Fieber aus. Tatsächlich wurde ihr hundeelend, sie war zwei Tage krank – und hatte am dritten kaum Kraft für die Essigspülung, nachdem Thomas sie wieder »besucht« hatte. Das Mittel schien immerhin zu helfen. Bisher hatte Elaine noch nicht empfangen.
Ab und zu versuchte sie, mit Thomas über einen Besuch in Queenstown zu reden. Irgendetwas musste geschehen, sie konnte nicht ihr Leben in Thomas’ Gefängnis verbringen! Vielleicht würde sie den Mut finden, sich ihrer Mutter anzuvertrauen – und
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