Das Lied der Maori
schlecht gelaunt. Dies war nun das letzte Konzert in Neuseeland, und im Publikum würden all ihre Verwandten und Bekannten sitzen, doch Roderick hatte ihr zwei Soloauftritte gestrichen. Angeblich würde der Abend zu lang; anschließend fand noch eine Abschlussfeier statt, die Greenwood für das ganze Ensemble gab. Da sollte es nicht zu spät werden.
Kura war wütend, doch Roderick ließ sich vor dem Konzert nicht einmal sprechen – es war Sabina, die ihr die Änderungen mitteilte. Und dann auch diese Abschlussfeier! Alle anderen Künstler hatten förmliche Einladungen erhalten, nur Kura blieb ausgeschlossen. Natürlich würde sie trotzdem hingehen. Sabina, Brigitte und alle anderen erklärten, dass es sich nur um einen Irrtum handeln könne, und selbstverständlich erbot sich jeder, Kura als persönlichen Gast mitzunehmen. Jeder – außer Roderick! Der hatte sich den ganzen Tag nicht blicken lassen. Kura beschloss, ihm spätestens abends im Bett eine Szene zu machen.
Jetzt aber spähte sie erst einmal ins Publikum – und fühlte sich erneut beleidigt, als sie nur Gwyneira und Marama in der ersten Reihe sitzen sah. Nicht, dass sie sich besonders viel aus James und Jack gemacht hätte, aber nachdem die beiden jahrelang über ihre Studien und ihr Klavierspiel gelästert hatten, hätte sie jetzt gern ihren Triumph ausgekostet. Gloria vermisste sie nicht; Kura wäre nie auf die Idee gekommen, das Baby mit in ein Konzert zu nehmen. Womöglich schrie es! Aber wo war William? Auch hier hatte Kura ihren Fantasien immer freien Lauf gelassen: Selbstverständlich würde er nach Christchurch kommen, um sie noch einmal zu sehen. Er würde ihr alles abbitten, würde sie anflehen zu bleiben. Aber sie würde ihm nur noch einmal ins Gesicht sagen, was sie damals geschrieben hatte: »Das ist es nicht wert!« Sie konnte sich nicht auf Kiward Station eingraben, nur weil sie William liebte. Und dann ...? In Kuras liebsten Fantasien umarmte er sie an dieser Stelle ihres Tagtraums, sagte ihr, dass sie ihm viel wichtiger sei als alle Schafe der Welt, und buchte sofort eine Kabine auf einem Dampfer nach England. Natürlich würde es anschließend Rivalitäten geben. Ach, es würde herrlich sein, Roderick und William ein bisschen gegeneinander auszuspielen! Aber letztlich würde sie beides haben: William und ihre Karriere. So wie sie es sich immer gewünscht hatte! Nur dass William ihr heute einen Strich durch die Rechnung machte. Das Konzert würde in wenigen Minuten beginnen, aber er war noch nicht eingetroffen. Nun, da war immerhin Roderick ... Kura verließ ihren Ausguck hinter dem Vorhang. Dem würde sie jetzt etwas zu hören geben!
Gwyneira hatte Recht. Man musste kein Musikkenner sein, um Kuras Vortrag zu beurteilen. Im Grunde war jedem nach den ersten Tönen klar, dass die junge Sängerin ihren Kollegen nicht nur gleichkam, sondern sie deutlich übertrumpfte. Kura sang mit Verve und Ausdruck, traf sicher jeden Ton, flehte, lockte, weinte mit ihrer Stimme. Selbst Gwyneira, die sich nie etwas aus der Oper gemacht hatte, und Marama, die zum ersten Mal Opernszenen hörte, verstanden, was die Figuren auf der Bühne bewegte, auch wenn Kura Französisch, Italienisch oder Deutsch sang.
Marama hatte beim Troubadour-Quartett Tränen in den Augen, und Elizabeth konnte nach der
Habanera
nicht mehr aufhören zu klatschen. Roderick Barrister wirkte blass neben dieser Partnerin. Elizabeth Greenwood wusste gar nicht mehr, warum sie nach dem ersten Konzert in Christchurch so begeistert von ihm gewesen war.
Nach dem letzten Vorhang – wieder hatte das Publikum Kura frenetisch gefeiert – blieben die Frauen noch sitzen und sahen einander an.
Schließlich beglückwünschte Elizabeth Marama beinahe ehrfürchtig zu ihrer Tochter.
»Sie müssen das Mädchen nach London schicken! Ich habe bisher immer gedacht, es sei übertrieben mit Kuras Musik. Aber jetzt ... Sie gehört nicht auf eine Schaffarm, sie gehört auf eine Opernbühne!«
Gwyn nickte, wenn auch weniger euphorisch. »Sie kann gehen, wenn sie will. Ich jedenfalls lege ihr keine Steine in den Weg.«
Marama biss sich auf die Lippen. Sie war immer ein wenig schüchtern, wenn sie sich als einzige Maori unter lauter Weißen wiederfand. Zumal sie keine exotische Schönheit war wie Kura, sondern eine eher typische Vertreterin ihres Volkes: klein, ein wenig gedrungen und jetzt, da sie älter wurde, auch etwas untersetzt. Ihr glattes schwarzes Haar hatte sie heute aufgesteckt, und sie
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