Das Lied der Maori
trug auch englische Kleidung. Aber natürlich fiel sie unter den Menschen in diesem Saal auf. Und sie wusste nie, ob Gwyneira die Maori-Schwiegertochter peinlich war oder nicht.
»Aber Sie sollten sie noch auf eine Schule schicken, Miss Gwyn«, wagte Marama schließlich mit ihrer schönen, singenden Stimme zu bemerken. »Wie heißt es noch? Konservatorium, nicht wahr? Sie singt wunderschön. Aber dieser Mann ... ich glaube nicht, dass er ihr alles beigebracht hat, was er weiß. Kura könnte noch besser werden. Und sie braucht einen Abschluss. Hier reicht es vielleicht, einfach schön zu singen. Aber bei den Weißen wird man erst durch ein Diplom zur
tohunga
.«
Marama sprach hervorragend Englisch; sie war als Kiris Tochter praktisch im Haus der Wardens aufgewachsen und hatte zu Helens besten Schülerinnen gehört.
Und sie hatte Recht. Gwyneira nickte.
»Wir werden gleich mit ihr sprechen, Marama. Jetzt hat sie sich genug konzentriert. Am besten, wir gehen sofort hinter die Bühne, bevor wieder zwanzig Leute vor uns bei ihr Schlange stehen, um ihr zu sagen, wie unwiderstehlich sie ist.«
Kura hörte gern, wie unwiderstehlich sie war, und es waren auch schon genügend Bewunderer in die provisorischen Garderoben der Truppe gestürzt, um es ihr zu versichern. Roderick war diesmal allerdings nicht darunter. Er hatte ihr ja nicht mal einen einzelnen Vorhang gegönnt, sondern war immer gemeinsam mit ihr vorgetreten, um den Applaus entgegenzunehmen. Vor ein paar Wochen hatte er ihr noch Rosen geschenkt! Kura konnte es kaum erwarten, ihn abzukanzeln. Aber jetzt warteten erst einmal ihre Mutter und ihre Großmutter, und diesmal würde sie ihren Triumph auskosten! Sie bat die beiden in ihre Garderobe. Brigitte, mit der sie den Raum teilte, zog sich taktvoll zurück.
»Nun, hat es euch gefallen?«, fragte Kura beinahe hoheitsvoll.
Marama wollte sie umarmen. »Es war wundervoll, Kleines!«, sagte sie zärtlich in ihrer Sprache. »Ich wusste immer, dass du es kannst!«
»Du warst dir da ja nicht so sicher«, sagte Kura zu Gwyneira.
Die unterdrückte schon wieder ein Seufzen. Kura mochte schöner singen als zuvor, doch der Umgang mit ihr war nach wie vor schwierig.
»Ich verstehe nichts von Musik, Kura. Aber was ich heute gehört habe, hat mich wirklich beeindruckt. Ich kann dich nur beglückwünschen. Du wirst sicher auch in England Erfolg haben. Das Geld für die Schiffspassage und das Konservatorium aufzubringen sollte kein Problem sein.« Auch Gwyneira schloss das Mädchen in die Arme, doch Kura blieb kühl.
»Wie gnädig von dir!«, bemerkte sie spöttisch. »Jetzt, wo ich es auch ohne Hilfe geschafft habe, bist du natürlich bereit, mir in jeder Hinsicht entgegenzukommen.«
»Kura, das ist nicht fair!«, begehrte Gwyneira auf. »Ich habe dir schon vor deiner Heirat angeboten ...«
»Aber nur, wenn ich William dafür aufgäbe. Wenn ich damals mit ihm zusammen nach England gegangen wäre ...« Kura blitzte sie an. Offensichtlich war sie wild entschlossen, ihre Großmutter für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich zu machen.
»Meinst du denn wirklich, du hättest es geschafft?«, fragte Marama leise. Sie hasste die endlosen Diskussionen über Schuld und Unschuld, Ursache und Wirkung, wie die Weißen sie anscheinend so gern führten. Ihre Tochter war eine Meisterin in der Kunst, dieses bittere, nutzlose Gerede über Stunden auszudehnen – wofür Marama nun wieder Gwyneira verantwortlich machte. Bei den Maoris hatte sie das jedenfalls nicht gelernt.
»Du singst wunderschön, aber glaubst du vielleicht, in der Oper in London warten sie nur auf dich?«
Kuras Gesicht nahm den Ausdruck äußerster Empörung an.
»Ich fasse es nicht! Willst du mir sagen, ich wäre nicht gut genug?«
Marama blieb gelassen. Sie hatte auch für Paul Warden oft genug den Blitzableiter gespielt. »Ich bin
tohunga
, Kura-maro-tini. Und ich habe deine Schallplatten gehört. All die großen Sänger ... du könntest sicher genauso gut werden. Aber du musst noch lernen.«
»Ich habe gelernt! Ich habe in all diesen Monaten wie verrückt geübt. Ich war auf der Nordinsel und in Australien, Mutter, aber ich habe nichts davon gesehen. Nur das Klavier und meine Noten. Ich ...«
»Du hast dich sehr verbessert, aber du könntest noch mehr lernen. Du solltest nicht mit diesem Mann gehen. Er tut dir nicht gut!« Marama betrachtete ihre Tochter mit ruhigem Blick.
»Das sagst gerade du mir! Eine Maori, die ihrer eigenen Tochter verbieten
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