Das Lied der Maori
Leere und murmelte Unverständliches, während seine Frau Nellie schluchzte und immer wieder Tims Namen rief. Beide Lamberts waren nicht ansprechbar, zumindest nicht für Lainie. Sie musste ihnen Mrs. Carey schicken oder den Reverend ... aber erst musste sie die Anwesenheitslisten finden. Tatsächlich entdeckte sie eine Kladde auf Marvin Lamberts Schreibtisch.
20. Dezember 1896 – das war es. Und gleich darauf eine ordentliche Auflistung der erschienenen Arbeiter. Zweiundneunzig. Und Tim ...
Elaine nahm das Buch kurzerhand mit – und erntete fast so etwas wie Begeisterung, als sie Caleb Biller davon berichtete. Der junge Biller wirkte deplatziert in all dem Treiben rund um die eingebrochene Mine. Im Gegensatz zu fast allen anderen Männern, die pausenlos ins Bergwerk ein- und wieder ausfuhren, war er sauber, gut gekleidet und wirkte unbeteiligt. Ähnlich wie beim Rennen; auch da hatte er den Eindruck erweckt, lieber woanders zu sein. Immerhin schien er über die wichtigsten Vorgänge informiert zu sein. Koordinationsaufgaben schienen ihm zu liegen.
»Das ist eine unschätzbare Hilfe, Miss Keefer!«, meinte er höflich und nahm die Anwesenheitslisten in Empfang. »Die Männer wissen dann zumindest, wie lange sie suchen müssen, bis alle gefunden sind. Allerdings dürften kaum alle zweiundneunzig eingefahren sein. Einige haben sicher am Förderkorb gearbeitet oder Frachtwagen beladen. Ich werde mal versuchen, das herauszufinden.«
Elaine warf einen Blick auf den Eingang der Mine, aus der soeben weitere Tote gebracht wurden.
»Kann es denn noch Überlebende geben, Mr. Biller?«, fragte sie leise.
Caleb zuckte die Achseln. »Eher nein. Aber sicher ist man da nie, manchmal gibt es Hohlräume, Luftblasen ... selbst bei Gasexplosionen. Aber es sieht nicht gut aus.«
Kurze Zeit später stand fest, dass am Morgen sechsundsechzig Männer eingefahren waren, später noch Joe und Tim. Zwanzig Tote hatte man bereits gefunden, davon die meisten im Bereich der Schächte eins bis sieben, die nicht eingestürzt waren. Im Bereich von Schacht acht und neun wurde gegraben, Stunden um Stunden.
Elaine wusste später nicht, wie der Tag vergangen war. Sie half beim Teekochen und bereitete Sandwiches, doch bei all dem schien sie nicht wirklich zugegen zu sein. Irgendwann bat der Reverend sie, in die Stadt zu fahren, um weiteren Proviant zu holen. Die Angehörigen der Opfer brachten zwar nichts herunter, die Bergleute jedoch vertilgten Unmengen. Inzwischen arbeiteten rund hundert Mann in der Mine, die sich ständig abwechselten, um einander nicht auf den Füßen zu stehen. Die Menge an Abraum war gigantisch; etliche Teile der Stollen waren völlig verschüttet. Immer wieder wurden Tote heraufgebracht.
Lainie schirrte Banshee an und stieß dabei wieder auf Fellow, der immer noch gesattelt wartete. Anscheinend traute sich niemand, ihn wegzubringen; wahrscheinlich befürchteten die Helfer wieder ein schlechtes Omen. Auch Elaine kämpfte mit der aberwitzigen Hoffnung, Tim könnte gleich wiederkommen und sich auf sein Pferd schwingen, solange Fellow nur wartete. Aber dann gab sie sich einen Ruck, sattelte den Wallach ab und führte ihn in die Ställe der Mine.
»Hier findet dein Herr dich auch ...«, sagte sie leise und spürte plötzlich die Tränen. Leise weinte sie in die weiche Mähne des Pferdes. Dann straffte sie sich und machte sich auf den Weg in die Stadt.
Greymouth wirkte wie betäubt ob der Katastrophe in der Lambert-Mine. Das Lucky Horse blieb geschlossen, im Wild Rover war es still. Elaine nahm weitere Lebensmittel in Empfang. Die restlichen Damen vom Hausfrauenverein waren nicht untätig gewesen und hatten gekocht. Zwei von ihnen schlossen sich an, obwohl Elaine sich fragte, wozu weitere Helferinnen gebraucht wurden. Zuerst hatte man ja an Krankenpflege gedacht, aber bislang behandelte Dr. Leroy lediglich kleine Verletzungen der Helfer. Die Verschütteten, die man heraufbrachte, waren sämtlich tot.
Als Elaine am Wild Rover vorbeikam, sah sie Kura. Die junge Frau wollte wohl eben ihren Dienst am Piano antreten, doch der Pub war wie ausgestorben, und Kura schien zu schwanken, ob sie überhaupt hineingehen sollte, als sie Elaine erblickte.
»Ich habe von der Mine gehört«, sagte Kura. »Ist es schlimm?«
Elaine sah sie an und verspürte dabei zum ersten Mal weder Wut noch Neid oder Bewunderung. Ob dies ihre Cousine war oder eine lästige Fremde, Elaine war es egal.
»Kommt darauf an, was du unter schlimm verstehst«,
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