Das Lied der Maori
übrigens Miss Lainie? Weiß sie ...?«
Madame Clarisse schüttelte den Kopf. »Wir haben sie zum Reverend geschickt, gleich als wir von dem Unglück hörten. Mit ihrem Pferd und meinem Wagen. Von Mr. Tim haben wir da noch nichts gewusst. Aber sie müsste gleich kommen. Ich bring es ihr schonend bei ...«
Matt fragte sich, wie man jemandem eine solche Nachricht schonend beibringen konnte. Auf dem Hof vor der Mine hatten sich inzwischen mehrere Frauen eingefunden, die zu den Männern in der Mine gehörten. Eine davon, die zierliche Cerrin Patterson, wurde dann gleich die erste Patientin in Dr. Leroys Hospital. Ihre Wehen setzten ein, als sie die Nachricht vom Minenunglück bekam. Wie als Ironie des Schicksals würde an diesem Ort des Todes als Erstes ein Kind zur Welt kommen.
Nellie Lambert war ebenfalls eingetroffen, doch sie brauchte eher selbst einen Arzt, als sich in irgendeiner Weise nützlich machen zu können. Schon jetzt schluchzte sie hysterisch. Matt schickte sie zu ihrem Mann. Auch um dieses Problem sollten sich andere kümmern.
Und dann gab es endlich Informationen aus der Mine.
»Mr. Matt, wir wären jetzt durch mit den Wetterschächten«, meldete ein älterer Bergmann. »Die im Bereich von Schacht eins bis sieben sind unversehrt, in der Gegend von acht und neun sind zwei eingestürzt, einer intakt. Und der neue ist auch in Ordnung ... aber das sollten Sie sich vielleicht selbst ansehen. Einer der Jungs, die sie überprüft haben, meint, er hätte Klopfzeichen gehört.«
Elaine lenkte Madame Clarisse’ Wagen zur Mine; der Reverend folgte mit seinem eigenen. Mit ihnen fuhren vier ehrbare Helferinnen vom Hausfrauenverein und zwei weitere Freudenmädchen. Ihre Aufteilung auf die Wagen hatte endlose diplomatische Anstrengungen des Reverends erfordert, da die Damen einerseits ihre unsterbliche Seele gefährdet sahen, wenn sie ein Gefährt mit Madame Clarisse’ Mädchen teilten, Madame Clarisse’ Kutsche aber andererseits viel bequemer war als der Kastenwagen des Reverends. Schließlich drängten sie sich doch stöhnend auf der Ladefläche zusammen und überließen Elaine und den Mädchen den Transport der Unmengen an rasch bereitgestellten Lebensmitteln. Mrs. Carey, die Frau des Bäckers, brachte gleich körbeweise Brot und Pasteten; schließlich mussten die Helfer verpflegt werden. Niemand würde an diesem Tag die Zeit in Schichten aufteilen und zwischendurch nach Hause gehen. Auch für die Angehörigen der Opfer und mögliche Verletzte musste gesorgt werden – wobei eher Madame Clarisse’ und Paddy Holloways Spenden dienlich wären: Beide hatten etliche Flaschen Whisky beigesteuert.
Elaine trieb Banshee an und dankte dem Himmel für die neu befestigten Straßen zwischen Greymouth und der Mine. Sie war nervös und sorgte sich um die Männer, die sie kannte. Natürlich kreisten ihre Gedanken vor allem um Tim Lambert. Der war ja eigentlich kein Bergmann; mit ziemlicher Sicherheit hatte er im Büro gesessen, als die Mine explodiert war. Aber wirklich erleichtert würde sie sich erst fühlen, wenn sie ihn gesund und munter vor sich hatte. Tatsächlich sah sie sich sogar in seine Arme fliegen, doch diesen Tagtraum untersagte sie sich sofort. Sie würde sich nicht mehr verlieben. Nicht in Tim und in niemand anderen. Es war zu gefährlich, es kam nicht in Frage.
Auf dem Minengelände herrschte reger Betrieb. Die Frauen und Mädchen der verschütteten Männer hatten sich in einer Ecke zusammengefunden und starrten schweigend und entsetzt auf den Eingang zur Mine, wo sich eben ein Bergungstrupp zum Einfahren vorbereitete. Einige der Versammelten ließen Rosenkränze durch die Finger gleiten, andere hielten sich aneinander fest. In manchen Gesichtern stand Resignation, in anderen verzweifelte Hoffnung.
Der Reverend nahm sich sofort ihrer an, und die couragierte Mrs. Carey teilte ihre Frauen zum Teekochen ein.
»Finden Sie mal heraus, wo wir eine Suppenküche eröffnen können!«, wies sie eine der Helferinnen an, geflissentlich über Madame Clarisse’ Mädchen hinwegsehend. Die luden erst mal Elaines Wagen aus. Elaine selbst konnte sich nicht darauf konzentrieren. Sie sah sich immer noch nach Tim um, entdeckte zunächst aber nur Fellow, der angebunden vor den Bürogebäuden stand. Tim musste also hier sein. Bestimmt drinnen – oder fuhr er mit dem Rettungstrupp ein?
Elaine wandte sich den Männern zu, die auf den Förderkorb warteten, während sie sich lederne Schürzen umbanden, Helme aufsetzten
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