Das Lied der Maori
bemerkte sie schmallippig.
Kura wirkte unbeteiligt wie immer. Nur in ihren Augen war so etwas wie Erschrecken zu erkennen. Zum ersten Mal kam Elaine der Gedanke, dass Kura nur durch ihren Gesang Gefühle ausdrücken konnte. Vielleicht brauchte sie die Musik deshalb so sehr.
»Soll ich mitkommen?«, fragte Kura. »Braucht ihr Hilfe?«
Elaine verdrehte die Augen. »Soweit ich weiß«, sagte sie schroff, »verfügst du über keine der Qualitäten, die jetzt an der Mine gebraucht werden. Derzeit sind weder Verführungskunst noch Operngesang vonnöten.«
Die Damen in Elaines Wagen spitzten erkennbar die Ohren.
Kuras versöhnliche Stimmung verflog.
»Es heißt, ich hätte auf Männer eine durchaus belebende Wirkung ...«, sagte sie mit ihrer dunkelsten, laszivsten Stimme und schob mit einer anmutigen Handbewegung ihr Haar zurück.
Kuras Auftrumpfen hätte Elaine am Tag zuvor noch sprachlos gemacht. Aber jetzt blickte sie das Mädchen nur kühl an.
»In diesem Fall könntest du dich durchaus nützlich machen. Wir haben bislang dreiunddreißig Tote. Wenn du dich daran versuchen willst ...«
Elaine schnalzte Banshee kurz zu, die daraufhin schwungvoll anzog. Kura blieb schweigend zurück. Elaine hatte das Wortgefecht gewonnen, doch ein Triumphgefühl wollte sich nicht einstellen. Im Gegenteil, sie spürte Tränen aufsteigen, als sie ihr Gespann zur Mine lenkte.
Die Bergungsarbeiten zogen sich hin bis weit in die Nacht, aber der einzige Lichtblick war die Geburt von Cerrin Pattersons Baby. Ein gesunder Junge, der seine Mutter vielleicht ein bisschen über den Verlust ihres Mannes hinwegtrösten würde. Vorerst hatte man ihr allerdings nichts von Joes Tod gesagt. Als Elaine das hörte, überprüfte sie voller Furcht die Reihen der in einem Schuppen aufgebahrten Opfer. Womöglich hatten sie Tim ja auch schon gefunden und hielten es nur vor ihr und den Lamberts geheim. Diese Befürchtung bewahrheitete sich zwar nicht, aber Elaine war tief erschüttert über all die Toten. Sie fand Jimmy unter den Opfern, den riesigen Hauer, der ihr in bierseligen Nächten gestanden hatte, sich jeden Tag vor dem Einfahren in die Mine zu fürchten. Charlie Murphys Frau beweinte ihren Mann hysterisch, auch wenn er sie so oft geschlagen und es hinterher bitter bereut hatte. Elaine sah Lehrlinge unter den Toten, die an ihrem ersten Arbeitstag stolz das erste Bier im Lucky Horse getrunken hatten, und strebsame junge Vorarbeiter, die in ihrer Anfangszeit im Pub heftig um sie geworben hatten. Eines Tages würde er Steiger sein, hatte Harry Lehmann ihr stolz erzählt. Dann würde er ihr ein gutes Leben bieten können. Jetzt lag er hier mit zerschmetterten Gliedern, wie viele der zuletzt geborgenen Toten. Die Bergungsarbeiten drangen nun in Bereiche vor, in denen die Explosionen ausgelöst worden waren. Hier waren die Kumpel nicht an Gasvergiftungen gestorben, sondern vom Berg erschlagen oder verbrannt. Einen Teil der Leichen konnte man kaum identifizieren, doch sie hatten tief im Berg gelegen. Tim konnte kaum so weit vorgedrungen sein; er hätte eigentlich unter den früher geborgenen Toten sein müssen.
Gegen elf Uhr abends kam Matt Gawain endlich wieder aus der Mine. Er war mit seinen Kräften völlig am Ende. Die Männer hatten ihn schließlich gezwungen, eine Pause einzulegen.
Elaine traf ihn in Mrs. Careys improvisierter Teeküche, wo er Tee in sich hineinschüttete und Stew löffelte wie ein Verhungernder.
»Mr. Matt! Immer noch nichts von Tim Lambert?«
Matt schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war eingefallen und schwarz von Kohlestaub. Gewaschen hatte er sich nicht. Das tat keiner der Kumpel, die hier hereintaumelten, um sich vor dem nächsten Einsatz kurz zu stärken.
»Wir dringen jetzt langsam in den Bereich vor, aus dem die Klopfzeichen kamen, falls es welche waren. Wir haben seit Stunden nichts gehört. Aber wenn es Überlebende gibt, dann dort, in der Nähe vom neuen Wetterschacht. Das sind neu gegrabene Stollen mit eigenem Belüftungssystem ... zumindest sollten sie eins haben. Aber es ist schwierig. Die Gänge dort sind völlig eingestürzt und oft noch glühend heiß nach den Bränden. Wir tun unser Bestes, Miss Lainie, aber wir könnten zu spät kommen.« Matt schlang ein Stück Brot herunter.
»Aber glauben Sie, dass Tim ...« Elaine wehrte sich beinahe dagegen, wieder Hoffnung zu schöpfen.
»Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich versucht, dorthin zu flüchten. Aber ob er es geschafft hat? Es gibt noch
Weitere Kostenlose Bücher