Das Lied der Maori
nur wenig zu tun – Gwyneira Warden hatte immer wieder darauf hingewiesen. Schon die Farm seines Vaters war zu klein gewesen, um Profit abzuwerfen, und der hatte immerhin dreitausend Schafe besessen. Gwyneiras Vater in Wales hatte nicht einmal tausend Tiere gehabt und galt trotzdem als einer der größten Züchter des Landes. Überdies traute er William kaum zu, die Raubeine, die in Neuseeland als Viehhüter oder in den Schafschererkolonnen arbeiteten, in den Griff zu bekommen.
William lächelte ungläubig. »Heißt das, Sie bieten mir einen Job an, Mr. O’Keefe?«
Ruben nickte. »Wenn Sie interessiert sind. Reich werden können Sie als mein Buchhalter nicht, aber immerhin sammeln Sie Erfahrungen. Und wenn mein Sohn die Sache mit den Filialen in anderen Kleinstädten wirklich mal in Angriff nimmt«, er nickte Georgie zu, »gibt es Aufstiegsmöglichkeiten.«
William hatte kaum die Absicht, irgendwann als Filialleiter in einer Kleinstadt Karriere zu machen. Eher dachte er an eine eigene Ladenkette oder eine Einheirat in diese, wenn die Dinge sich weiterhin so erfreulich entwickelten. Doch Rubens Angebot war immerhin ein Anfang.
Erneut schenkte er Elaine einen diesmal um Sekundenbruchteile längeren, strahlenden Blick, den sie selig erwiderte, abwechselnd rot und blass werdend. Dann stand er auf und hielt Ruben O’Keefe die Hand entgegen.
»Ich bin Ihr Mann!«, erklärte er gewichtig.
Ruben schlug ein. »Auf gute Zusammenarbeit. Wir sollten das mit einem weiteren Whisky begießen. Diesmal mit einem hiesigen. Schließlich wollen Sie sich ja für längere Zeit in diesem Land einrichten.«
Elaine brachte William nach draußen, als der schließlich aufbrach. Die Gegend um Queenstown zeigte sich heute von ihrer schönsten Seite. Die gewaltigen Berge wurden vom Mondlicht erhellt, und am Himmel funkelten Myriaden Sterne. Der Fluss schien aus flüssigem Silber zu bestehen, und der Wald war erfüllt von den Rufen der Nachtvögel.
»Es ist seltsam, dass sie im Mondlicht singen«, sinnierte William. »Als wäre man in einem Zauberwald.«
»Nun ja, singen würde ich das Gekrächze nicht nennen ...« Elaine hatte im Grunde wenig Sinn für Romantik, aber sie tat ihr Bestes. Unauffällig schob sie sich neben ihn.
»Für ihre Weibchen ist das Gekrächze der lieblichste Gesang«, bemerkte William. »Die Frage ist nicht, wie gut man eine Sache macht, sondern für wen.«
Elaines Herz strömte über. Natürlich, er hatte es für sie getan! Nur ihretwegen hatte er auf einen gut bezahlten Job in der Leitung einer Schaffarm verzichtet, um bei ihrem Vater Hilfstätigkeiten zu leisten. Sie wandte sich ihm zu.
»Sie hätten ... ich meine, Sie mussten das nicht tun«, sagte sie vage.
William blickte in ihr offenes, vom Mondlicht erhelltes Gesicht, das sie ihm mit einem Ausdruck zwischen Unschuld und Erwartung entgegenhob.
»Manchmal hat man keine Wahl«, flüsterte er und küsste sie. Für Elaine explodierte die Nacht in diesem Kuss.
Fleurette beobachtete ihre Tochter vom Fenster aus.
»Sie küssen sich!«, bemerkte sie und schüttete den Rest des Weins so heftig in ihr Glas, als könnte sie mit der Flasche auch Elaines Gedächtnis leeren.
Ruben lachte. »Was hast du anderes erwartet? Sie sind jung und verliebt.«
Fleurette biss sich auf die Lippe und leerte das Glas dann mit einem Schluck. »Wenn wir das bloß nicht mal bereuen ...«, murmelte sie.
4
Gwyneira McKenzie hatte vor, sich mit Kura einem Warentransport für Ruben O’Keefe anzuschließen und in dessen Schutz nach Queenstown zu reisen. Ihr Gepäck konnten sie dann auf die Frachtwagen laden und selbst in einer leichten Chaise fahren. Zumindest Gwyneira empfand das als die angenehmste Art des Reisens; ihre Enkelin äußerte sich nicht dazu. Kura stand der Fahrt nach Queenstown nach wie vor mit einem fast beunruhigenden Gleichmut gegenüber.
Das Schiff mit der Lieferung für Ruben ließ allerdings auf sich warten, sodass der Aufbruch sich immer weiter verzögerte. Offensichtlich machten erste Herbststürme die Überfahrt schwierig. So ging der Abtrieb der Schafe vorbei, bevor Gwyneira endlich fahren konnte – was die besorgte Züchterin jedoch eher beruhigte als ärgerte.
»So habe ich wenigstens meine Schäfchen im Trockenen«, scherzte sie, als ihr Mann und ihr Sohn das letzte Gatter hinter den heimgekehrten Herden schlossen. Jack hatte sich auch diesmal wieder ausgezeichnet. Die Arbeiter lobten ihn als »ganzen Kerl«, und der Junge schwärmte vom
Weitere Kostenlose Bücher