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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Ebene vor ihnen lagen Christchurch und die Canterbury Plains. Das Land, zu dem sie gehörte.
    Gwyneira hielt locker die Zügel, als sie ihrer Enkelin von dieser ersten Begegnung mit dem Land erzählte, was Kura jedoch kommentarlos an sich abprallen ließ. Lediglich die Erwähnung der »Hills of Hell« aus dem Lied 
Damon Lover
 schien sie aus der Reserve zu locken. Sie begann sogar, das Lied zu summen.
    Gwyneira hörte zu und fragte sich, von welchem Zweig der Familie Kura wohl ihre ausgeprägte Musikalität geerbt hatte. Ganz sicher nicht von den Silkhams, Gwyneiras Familie. Gwyns Schwestern hatten zwar mit größerer Begeisterung Klavier gespielt als sie selbst, aber auch mit ähnlich geringer Begabung. Deutlich mehr Talent hatte Gwyns erster Mann. Lucas Warden war ein Schöngeist, der exzellent Piano spielte. Aber das hatte er sicher von seiner Mutter, und mit der wiederum war Kura nicht blutsverwandt ... Nun, über die verwandtschaftlichen Verwicklungen innerhalb der Familie Warden dachte Gwyneira lieber nicht länger nach. Wahrscheinlich war es allein Marama, die Maori-Sängerin, die ihr Talent an Kura weitergegeben hatte. Es war Gwyns eigene Schuld, dem Mädchen das vermaledeite Klavier gekauft zu haben, nachdem sie Lucas’ Instrument vor Jahren verschenkt hatte. Andernfalls hätte Kura sich vielleicht auf die traditionellen Instrumente und die Musik der Maoris beschränkt.
     
    Die Fahrt nach Queenstown dauerte mehrere Tage, wobei die Reisenden fast immer auf irgendeiner Farm ihr Nachtlager fanden. Gwyneira kannte fast alle Schafzüchter der Gegend, aber auch Fremde wurden im Allgemeinen gastlich aufgenommen. Viele Farmen lagen sehr abgelegen an selten befahrenen Wegen, und die Besitzer freuten sich über jeden Besucher, der Neuigkeiten brachte oder gar Post beförderte – so wie die Fahrer des O’Kay Warehouse es taten, die diese Route seit Jahren immer wieder nahmen.
    Die Reisenden waren schon fast in Otago, als ihnen dann doch keine andere Wahl blieb, als in der Weite des Landes ihr Lager im Planwagen aufzuschlagen. Gwyneira versuchte, daraus ein Abenteuer zu machen, um Kura endlich aus der Reserve zu locken; sie hatte während der gesamten Reise meist unbeteiligt neben ihr gesessen und offenbar auf nichts anderes gehört als auf die Melodien in ihrem Kopf.
    »James und ich haben in solchen Nächten oft wach gelegen und den Vögeln gelauscht. Hör mal, das ist ein Kea. Die hört man nur hier in den Bergen, bis runter nach Kiward Station kommen sie nicht ...«
    »In Europa soll es Vögel geben, die richtig singen«, bemerkte Kura mit ihrer melodischen Stimme, die an die Stimme Maramas erinnerte; aber während diese eher hell und süß klang, war Kuras Stimme voll und samtig. »Richtige Melodien, sagt Miss Heather.«
    Gwyn nickte. »Ja, ich erinnere mich. Nachtigallen und Lerchen ... es klingt hübsch, wirklich. Wir könnten eine Schallplatte mit Vogelstimmen kaufen, die kannst du dann auf deinem Grammophon abspielen.« Das Grammophon war Gwyns letztes Weihnachtsgeschenk für Kura gewesen.
    »Ich würde die Stimmen lieber in der Natur hören«, seufzte Kura. »Und ich würde lieber nach England reisen und singen lernen als nach Queenstown. Ich weiß doch gar nicht, was ich da soll.«
    Gwyneira nahm das Mädchen in den Arm. Eigentlich mochte Kura das seit Jahren nicht mehr, doch hier, in der grandiosen Einsamkeit unter der Sternen, war sogar sie zugänglicher.
    »Kura, ich hab’s dir schon tausendmal erklärt. Du hast eine Verantwortung. Kiward Station ist dein Erbe. Du musst es übernehmen oder an die nächste Generation weitergeben, wenn es dich schon so nicht interessiert. Vielleicht hast du ja mal einen Sohn oder eine Tochter, der es wichtig ist ...«
    »Ich will keine Kinder, ich will singen!«, stieß Kura hervor.
    Gwyneira strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Wir bekommen aber nicht immer, was wir wollen, Kleines. Zumindest nicht gleich und nicht jetzt. Finde dich damit ab, Kura. An ein Konservatorium in England ist nicht zu denken. Du wirst etwas anderes finden müssen, das dich glücklich macht.«
     
    Gwyneira war heilfroh, als der Lake Wakatipu endlich vor ihnen auftauchte und die Stadt Queenstown in Sicht kam. Die Reise mit der mürrischen Kura war ihr in den letzten Tagen zunehmend lang geworden, und zum Schluss hatten sie gar keine Gesprächsthemen mehr gefunden. Doch der Anblick der sauberen kleinen Stadt vor der Bergkulisse und dem riesigen See stimmte sie gleich wieder optimistischer.

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