Das Lied der Maori
Strategien.
»Sie haben also auch Opernambitionen, Miss Lainie?«, fragte Florence zuckersüß.
»Nein«, antwortete Lainie.
»Aber Sie werden doch ebenfalls dafür bezahlt, dass Sie Klavier spielen! Und ist das Lucky Horse nicht obendrein ... wie soll ich sagen? Ein ›Hotel‹?«
»Ja«, bestätigte Lainie.
»Ich war noch nie in einem solchen Etablissement. Aber ...« Florence warf einen verschämten Seitenblick auf ihre Mutter, als wolle sie sich vergewissern, dass die nicht hinhörte. »Man ist selbstverständlich neugierig! Werden die Männer sehr zudringlich? Ich weiß natürlich, dass Sie selbst niemals ... aber ...«
»Nein«, sagte Lainie.
Kura blickte sie über den Tisch hinweg an, und plötzlich mussten beide Mädchen sich das Lachen verbeißen. Elaine konnte es kaum glauben, aber sie empfand so etwas wie Komplizenschaft mit ihrer ältesten Feindin.
Auch unter den anderen Gästen lief das Gespräch eher mühsam an. Mr. Weber fragte Marvin nach dem Wiederaufbau der Mine nach dem Unfall – und als Tim antwortete, starrte er ihn an, als überrasche es ihn, dass Lamberts invalider Sohn noch sprechen konnte. Marvin Lambert selbst vermochte das nach etlichen Gläsern Whisky, Champagner und Wein nicht mehr, woraufhin Nellie, Mrs. Biller und Mrs. Weber die Unterhaltung an sich zogen. Die Damen sprachen über Einrichtungsideen und englische Möbel – und schauten Caleb an wie eine Monstrosität, als der sich harmlos einmischte. Ein Mann, der das Wort »Tapete« kannte, gehörte wohl ebenso ins Kuriositätenkabinett wie ein Bergbauingenieur im Rollstuhl. Elaine hatte Mitleid mit Tim, dessen Miene Überdruss und Erschöpfung ausdrückte. Kura hingegen amüsierte sich über Caleb. Er wirkte wie ein gescholtenes Kind.
Und über all dem stand Florence Weber und plauderte mit demselben Gleichmut über Lampenschirme, die neue Technik der Elektrizität, die italienische Oper und die Effizienz von Belüftungsschächten in Kohlebergwerken. Letzteres schien sie am ehesten zu interessieren, führte aber nur dazu, dass die Herren überlegen lächelten und die Damen indigniert schwiegen.
»Ich muss hier raus«, flüsterte Tim, als Lainie ihn nach dem Essen ins Herrenzimmer schob. Nellie hatte eigentlich ihren Mann darum gebeten, doch Mr. Lambert hätte das kaum geschafft, ohne dabei die Möbel zu rammen. Tim warf Elaine einen so dringlichen, beinahe flehenden Blick zu, dass sie rasch einsprang. Unfälle mit diesem Rollstuhl waren schmerzhaft und nicht ungefährlich. Erst vor wenigen Wochen hatte Dr. Leroy Tim behandeln müssen, nachdem es seiner Mutter gelungen war, das ebenso schwere wie instabile Möbel mit Tim darin umzuwerfen.
»Was soll ich denn machen?«, fragte Lainie verzweifelt. Sie bekam den Stuhl auf den dicken Teppichen der Lamberts kaum vorwärts. »Wir könnten sagen, wir gehen in den Garten, aber da krieg ich das Ding nie im Leben hin! Wo ist denn bloß Roly?«
»Hat heute frei«, meinte Tim zähneknirschend. »Schließlich ist Weihnachten. Er war zwar morgens da und hat mir geholfen, und abends kommt er auch noch mal. Der Junge ist treu wie Gold, aber er hat schließlich auch Familie ...«
Bei seinen letzten Worten blickte Tim drein, als hielte er eine Familie für ungefähr so erstrebenswert wie Zahnschmerzen. Dann schwieg er, als Caleb Biller auf ihn und Lainie zutrat.
»Darf ich Ihnen behilflich sein, Miss Lainie?«, fragte der junge Mann freundlich und ohne Anzeichen von Verlegenheit. »Ich fände einen Verdauungsspaziergang im Garten eine gute Idee. Wenn es Ihnen also recht ist, Tim ...«
Caleb fasste selbstverständlich die Griffe des Rollstuhls und schob Tim, dem dies alles andere als recht war, aus den stickigen Zimmern in den brüllend heißen Sommertag. Elaine fand Caleb sehr fürsorglich. Er hob den Stuhl vorsichtig über Treppenabsätze und wich behutsam Unebenheiten auf den Gartenwegen aus.
Kura folgte den Männern und warf dabei nervöse Blicke über die Schulter.
»Entwischt!«, bemerkte sie schließlich. »Wir sind Florence Weber erfolgreich entkommen. Wahrscheinlich nur für ein paar Sekunden, aber man muss auch für kleine Dinge dankbar sein.« Sie schob ihr prächtiges schwarzes Haar zurück, das sie provozierend offen trug. Auch Kuras Halsausschnitt war zu tief und ihr dunkelrotes Kleid zu aufreizend geschnitten, um wirklich damenhaft zu sein. Doch sie wirkte atemberaubend.
»Immerhin weiß ich jetzt, warum sie sich das antut«, führte Kura aus und wanderte ganz
Weitere Kostenlose Bücher