Das Lied der Maori
misstrauisch wurden, wenn ein Fremder sich nach einer Angehörigen ihres Stammes erkundigte.
Besonders auffällig war dies bei einem Stamm zwischen Greymouth und Westport. Die Leute zogen sich praktisch sofort zurück, als William in seinem schlechten Maori nach einem Mädchen fragte, das seinem
pakeha
-Mann weggelaufen sei und nun Musik mache. Während andere Stämme laut lachten, sobald er Kuras Flucht aus der Ehe erwähnte, wurden diese Leute nervös und schweigsam. Erst die Häuptlingsfrau klärte die Sache.
»Er will nichts von dem flammenhaarigen Mädchen, er fragt nach der
tohunga
«, erklärte sie ihrem Stamm. »Du suchen Kura? Kura-maro-tini? Ist sie weggelaufen diese Mann, der nicht mag ...«
Die Leute lachten dröhnend über ihre erklärende Geste; nur William schaute verwirrt und ein wenig beleidigt.
»Hat sie das gesagt?«, erkundigte er sich. »Aber wir ...«
»Sie war hier. Mit große blonde Mann. Sehr klug, macht auch Musik, auch
tohunga
. Aber schüchtern!«
Die anderen kicherten wieder, mochten sonst aber offensichtlich nichts über Kuras Besuch preisgeben. William machte sich da seine eigenen Gedanken. Kura war also wieder mit einem Mann zusammen! Allerdings nicht mit Roderick Barrister; den hatte sie ebenso schnell ersetzt, wie sie ihn, William, der Opernbühne wegen verlassen hatte. Und jetzt also ein schüchterner blonder Musiker ...
Williams Bedürfnis, seine Frau wiederzufinden – und ihr gründlich den Kopf zu waschen, bevor er sie in die Arme schloss und von seinen eigenen, unbestreitbaren Vorteilen überzeugte –, wuchs mit jedem Tag.
9
Elaine machte sich Sorgen um Tim, der bei jedem ihrer Besuche hagerer, verbissener und erschöpfter wirkte. Die Lachfältchen um seinen Mund waren in den letzten Wochen jenen tiefen Furchen gewichen, die bei vielen Bergleuten von ständiger Überanstrengung und Müdigkeit zeugten. Natürlich freute er sich nach wie vor, Lainie zu sehen, aber es fiel ihm doch schwerer als früher, mit ihr zu lachen und zu scherzen. Nun mochte das auch an einer gewissen Entfremdung liegen – die alte Vertrautheit zwischen beiden schwand mit jedem Tag, an dem sie einander nicht sahen. Und diese Tage häuften sich, was jedoch nicht daran lag, dass Lainie es nicht versuchte. Die Entfernung war kein Problem; das Haus der Lamberts lag gerade mal zwei Meilen vom Stadtzentrum entfernt, und Banshee und Fellow trabten diese Strecke in zwanzig Minuten. Dann aber musste Elaine an Nellie Lambert vorbei, und das war eine weit schwierigere Hürde.
Manchmal öffnete Nellie erst gar nicht, wenn Elaine den schweren, kupfernen Türklopfer betätigte. Roly und Tim schienen es nicht zu hören; das Geräusch erreichte nur die Empfangszimmer, allenfalls noch den Salon. Eigentlich sollte sich hier immer ein Hausmädchen oder Nellie selbst aufhalten, doch Elaine nahm an, dass man sie schlichtweg nicht hören wollte. Und auch sonst fand Nellie tausend Entschuldigungen dafür, die »Freundin« ihres Sohnes – das Wort »Verlobte« brachte sie nicht über die Lippen, obwohl Timothy aus seinen Heiratsabsichten keinen Hehl machte – von ihm fernzuhalten: Timothy schlief, Timothy fühlte sich nicht wohl, Timothy wurde von Roly spazieren gefahren, und sie habe keine Ahnung, wann die beiden zurückkämen. Einmal erschreckte sie Lainie beinahe zu Tode, als sie erklärte, Tim läge mit schwerem Husten im Bett und könne sie nicht empfangen. Elaine jagte daraufhin zurück in die Stadt und schüttete Berta Leroy in Panik ihr Herz aus.
Die konnte Elaines Befürchtungen allerdings zerstreuen.
»Ach was, Lainie, Ihr Tim kriegt nicht schneller eine Lungenentzündung als Sie und ich. Er war zwar gefährdeter, solange er im Bett lag, aber nach dem, was ich höre, bewegt er sich heute ja mehr als wir alle zusammen. Wir werden es auch gleich aus erster Hand erfahren: Christopher ist eben bei den Lamberts. Den hat Nellie auch verrückt gemacht. Angeblich hatte Tim Schmerzen beim Husten, da muss Christopher natürlich nachsehen. Hoffentlich holt er sich dabei nicht selbst den Tod, bei diesem Regen ...«
Tatsächlich stürmte es draußen heftig, und auch Elaine war nach ihrem schnellen Ritt völlig durchnässt. Berta rubbelte ihr Haar trocken und wies ihr einen Platz am Kamin an, während sie Tee kochte. Trotzdem zitterte Elaine immer noch, als Dr. Leroy schließlich wutentbrannt zurückkam.
»Dafür berechne ich der Dame das doppelte Honorar, Berta, das kann ich dir flüstern!«, polterte er
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