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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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älteren, aber großen und kräftigen Mann. Beide grüßten selbstbewusst die Einwohner des Ortes, wobei der Mann nicht den Eindruck machte, als wäre er Angestellter. Eher hatte man es hier mit dem Ehemann zu tun, James McKenzie. William nutzte seine versteckte Position im Kontor des Kramladens, um sich das Paar näher anzuschauen. McKenzie hatte braunes, ein wenig struppiges Haar, in das sich schon weiße Strähnen mischten. Seine Haut war braun gebrannt und wettergegerbt. Lachfältchen beherrschten sein Gesicht, ähnlich wie bei Miss Gwyn; die beiden schienen eine harmonische Ehe zu führen. Besonders auffällig waren jedoch James’ wache braune Augen, die freundlich erschienen, doch er war sicher ein Mann, dem man nicht leicht etwas vormachte.
    William überlegte, ob er gleich James’ Bekanntschaft suchen sollte, entschied sich aber dagegen. Miss Gwyn mochte sich über ihn beschwert haben; es war besser, die Sache noch ein paar Wochen ruhen zu lassen. Allerdings drängte es ihn nun sehr, Kura endlich wiederzusehen. Am folgenden Sonntag sattelte er sein in letzter Zeit ziemlich unterbeschäftigtes Pferd und ritt nach Kiward Station.
     
    Wie die meisten Besucher fühlte auch William sich fast erschlagen vom Anblick des Herrenhauses mitten im Busch. Eben noch war er durch weitgehend unerschlossenes Land geritten, vorbei an endlosen Grasflächen, die nicht einmal abgeweidet wirkten und nur hier und da von Steinformationen oder einem kleinen, glasklaren See unterbrochen wurden. Und dann ritt man um eine Wegbiegung und meinte sich plötzlich ins ländliche England versetzt. Eine sorgfältig mit Kies bedeckte, akkurat gepflegte Einfahrt führte zunächst durch eine Art Allee, gesäumt von Südbuchen und Cabbage Trees, die schließlich den Blick freigab auf ein mit rot blühenden Sträuchern bepflanztes Rondell. Dahinter lag die Auffahrt von Kiward Station. Das war keine Farm, das war eher ein Schloss! Das Haus war offensichtlich von englischen Architekten entworfen und errichtet aus dem landestypischen grauen Sandstein, den man auch in Städten wie Christchurch und Dunedin für »Monumentalbauten« verwendete. Kiward Station war zweistöckig; die Fassade wurde belebt durch Türmchen, Erker und Balkone. Ställe waren nicht zu sehen; sie befanden sich, wie William vermutete, hinter dem Haus, ebenso wie die Gartenanlagen. Er zweifelte nicht daran, dass diese Residenz über gepflegte Landschaftsgärten, vielleicht sogar einen Rosengarten verfügte – auch wenn Miss Gwyn eigentlich nicht den Eindruck erweckt hatte, als gehöre Gartenbau zu ihren Leidenschaften. Kura würde so etwas eher liegen. William gab sich einem Tagtraum von einer weiß gekleideten Kura mit blumengeschmücktem Strohhut hin, die an Rosenbüschen zupfte und schließlich mit einem Korb voller Blumen die Freitreppe hinaufstieg.
    Doch der Gedanke an Kura brachte ihn auch in die Wirklichkeit zurück. Es war unmöglich, hier einfach einzudringen! Das Mädchen auf diesem Gelände »zufällig« zu treffen war undenkbar, zumal er Kura nicht gerade als Naturliebhaberin kannte. Wenn sie dieses Haus verließ, dann sicher nur in die Gartenanlagen, und die waren vermutlich eingezäunt. Außerdem wimmelte es dort sicher von Gärtnern; dafür, dass es mehrere Gärtner gab, sprach allein schon die sorgsam gepflegte Auffahrt.
    William wendete sein Pferd. Er wollte hier möglichst nicht gesehen werden. In trübe Gedanken versunken, machte er sich daran, das Anwesen weiträumig zu umrunden. Tatsächlich führten sowohl rechts als auch links des Herrenhauses Wirtschaftswege zu den Ställen und Koppeln, auf denen Pferde am kargen Wintergras knabberten. William bog dort jedoch nicht ab; die Gefahr, Leute zu treffen, die ihn dann ausfragten, erschien ihm zu groß. Stattdessen nahm er einen schmalen Fußweg durchs Grasland und stieß auf ein lichtes Wäldchen. Man fühlte sich dabei fast an England oder Irland erinnert; die Südbuchen und das kaum vorhandene Unterholz muteten europäisch an. Durch das Wäldchen führte in abenteuerlichen Windungen ein Pfad, ausgetreten eher von Menschenfüßen als Pferdehufen. William folgte diesem Weg voller Neugier – und wäre nach einer Biegung beinahe mit einer dunkel gekleideten jungen Frau zusammengestoßen, die ebenso gedankenverloren schien wie er selbst. Sie trug ein strenges Kleid, kombiniert mit einem dunklen Hütchen, das sie älter wirken ließ. Auf William machte sie den surrealen Eindruck einer englischen Gouvernante auf dem

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