Das Lied der Maori
wunderbaren Kura Warden. Elaine hielt sich für mager und flachbrüstig, wo sie sich früher zierlich und schlank gefunden hatte. »Elfenhaft« hatte William gesagt. Damals hatte sie das für ein wunderbares Kompliment gehalten. Aber welcher Mann wollte schon eine Elfe? Eine Göttin wollten die Kerle, so was wie Kura!
Elaine erging sich in Selbstzerfleischung, obwohl Inger ihr immer wieder gut zuredete. Die Mädchen hatten sich angefreundet, und wenigstens die Nachricht, dass ihr Vater nun Søren statt William im Laden beschäftigte und der junge Schwede seine Inger in wenigen Wochen heiraten wollte, hatte Elaine eine Zeit lang aus ihrer Trauer gerissen. Eine rechte Hilfe war Inger allerdings auch nicht. Zumindest empfand Elaine es nicht unbedingt als Schmeichelei, als die Freundin harmlos bemerkte, Daphne würde sich nach einem Mädchen wie ihr die Finger lecken. Sicher, für ein Freudenhaus mochte sie gut genug sein, doch ein Mann wie William würde sie niemals lieben.
Mit der Zeit verlor Williams Gesicht sich immer mehr in ihrer Erinnerung. Sie konnte jetzt an seine Berührungen und Küsse denken, ohne dabei den entsetzlichen Schmerz des »Nie mehr« zu verspüren. Im Grunde geschah genau das, was Daphne und alle anderen vorhergesagt hatten. Elaine kam über William hinweg ... aber nicht über Kura.
William war am gleichen Tag in die Canterbury Plains aufgebrochen wie Gwyneira und Kura, aber natürlich reisten die drei nicht zusammen. Gwyn hatte nur leichtes Gepäck in ihren Buggy gepackt und Ruben gebeten, ihr den Rest ihrer Sachen mit dem nächsten Transport nach Christchurch mitzuschicken. Dann ließ sie ihren Hengst nach Norden traben. William, der vorerst wieder im Goldgräberlager untergeschlüpft war, musste zunächst ein Pferd kaufen, bevor er sich auf den Weg machen konnte. Letztlich aber war er schneller als Gwyn und Kura, denn die zwei übernachteten diesmal auf Farmen ihrer Bekanntschaft und mussten dafür mitunter Umwege auf sich nehmen.
William hielt seine Pausen kurz. Er schlief nicht gern im Busch, und jetzt im Winter war es empfindlich kalt. So erreichte er Haldon zwei Tage eher als Gwyn, mietete sich im örtlichen Hotel ein, einem eher schmuddeligen Etablissement, und suchte erst mal Arbeit im Ort. Die Ansiedlung gefiel ihm dabei nicht besonders. Haldon bestand lediglich aus einer Main Street, die von den üblichen Läden gesäumt wurde – es gab einen Pub, einen Arzt, einen Bestatter, einen Schmied, einen Kramladen mit großem Holzlager. Aus Holz war auch der gesamte Ort errichtet, höchstens zweistöckige Häuser, denen ein neuer Anstrich durchweg gutgetan hätte. Die Straße war ungenügend befestigt; jetzt im Winter schlammig, im Sommer sicher staubig. Das Ganze lag ziemlich im Nichts – in der Umgebung gab es zwar einen kleinen See, ansonsten aber nur Grasland, das trotz der kalten Jahreszeit noch verhalten grünte. In der Ferne konnte man an klaren Tagen die Alpen sehen. Sie schienen relativ nah zu sein, doch dieser Eindruck täuschte. Man musste stundenlang reiten, um den Bergen sichtbar näher zu kommen.
Überall im weiten Umland von Haldon gab es größere und kleinere Schaffarmen, die aber alle viele Meilen voneinander entfernt lagen. Auch von Maori-Siedlungen war im Ort die Rede, doch wo sie lagen, wusste kaum jemand. Die Eingeborenen waren wohl auch öfter auf Wanderschaft.
Kiward Station, die Farm der Wardens, kannte allerdings jeder. Mrs. Dorothy Candler, die Krämersfrau und offensichtliche Klatschbase des Ortes, gab umfassend Auskunft über die Familiengeschichte. Ehrfürchtig berichtete sie, dass Gwyneira Warden eine echte Landadelige aus Wales sei, die ein gewisser Gerald Warden, der Gründer von Kiward Station, vor langer Zeit nach Neuseeland gebracht hatte.
»Denken Sie nur, auf demselben Schiff, mit dem auch ich gekommen bin! Gott, hatte ich damals Angst vor der Überfahrt! Aber nicht Miss Gwyn, die ist gern gekommen, die suchte das Abenteuer. Sie sollte hier heiraten, den Sohn von Mr. Gerald, Mr. Lucas. Ein reizender Mensch, dieser Lucas, wirklich, ein ganz liebenswerter, zurückhaltender Herr – nur mit der Farmarbeit hatte er’s nicht so. Der war mehr ein Künstler, wissen Sie. Er hat gemalt. Später ist er dann verschwunden – nach England, sagt Miss Gwyn, um seine Bilder zu verkaufen. Aber ob das stimmt? Man hat da manches munkeln hören. Irgendwann wurde er für tot erklärt, Gott sei seiner Seele gnädig. Und Miss Gwyn hat diesen James McKenzie
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