Das Lied der Maori
geheiratet. Der ist ja auch ein angenehmer Mensch, wirklich, ich will nichts gegen Mr. James sagen, aber er war natürlich ein Viehdieb! Die McKenzie Highlands wurden nach ihm benannt! Da hat er sich versteckt, bis ihn dieser Sideblossom erwischte. Tja, und Mr. Gerald hat’s dann eben auch erwischt, am gleichen Tag wie Mr. O’Keefe. Schlimme Sache das, schlimme Sache. O’Keefe hat Warden umgebracht, und sein Enkel hat ihn dann erschossen. Später wollten sie es als Unfall hinstellen ...«
Nach einer halben Stunde mit Mrs. Candler schwirrte William der Kopf. Bis er das alles auf die Reihe bringen konnte, würde sicher noch einige Zeit vergehen. Aber schon dieser erste Eindruck von den Wardens war ermutigend: Verglichen mit all den Verfehlungen dieser Familie war ein vereiteltes Attentat auf einen irischen Politiker wohl eher eine lässliche Sünde.
Trotzdem: Er würde sich anstrengen müssen, um einen guten Eindruck zu machen. Nach dem Eklat, den Helen O’Keefe aus seinen paar Küssen mit Kura gemacht hatte, war Miss Gwyn sicher nicht gut auf ihn zu sprechen. Das war der Grund, weshalb William sich direkt auf die Suche nach einer Arbeit machte. Er musste eine sichere Stellung haben, bevor er bei den Wardens vorsprach. Schließlich sollte Miss Gwyn nicht denken, er sei hinter Kuras Erbe her. Eine Unterstellung, der William jederzeit kategorisch widersprochen hätte! Finanzielle Überlegungen mochten bei seiner Werbung um Elaine eine kleine Rolle gespielt haben, aber Kura ... William hätte sie auch gewollt, wäre sie ein Bettelmädchen gewesen.
Auf den umliegenden Schaffarmen sah es jedoch nicht gut aus, was offene Stellen anging. Leitende Positionen wurden überhaupt nicht angeboten; William hätte allenfalls als Viehtreiber anfangen können, und selbst da waren die Stellen im Winter rar. Ganz abgesehen von der erbärmlich schlechten Bezahlung, den primitiven Unterkünften und der harten Arbeit. Allerdings half ihm seine Erfahrung als Buchhalter in Rubens Laden weiter. Die Candlers waren geradezu begeistert, als er sich nach einem Job erkundigte. Dorothys Gatte, der wohl selbst nur Dorfschulen besucht hatte, reagierte fast euphorisch auf Williams bisherigen Ausbildungsweg.
»Ich tue mich immer schwer mit den Büchern!«, gab er freimütig zu. »Im Grunde ist es eine Strafe für mich. Ich gehe gern mit Menschen um und verstehe mich auf An- und Verkauf. Aber Zahlen ...? Die hab ich eher im Kopf als in den Büchern.«
Dementsprechend sahen seine Unterlagen aus. William fand schon nach flüchtiger Durchsicht verschiedene Möglichkeiten zur Vereinfachung der Lagerhaltung und vor allem zum Steuersparen. Candler strahlte wie ein Honigkuchenpferd und zahlte sofort einen Bonus. Außerdem kümmerte sich Dorothy, eine mustergültige Hausfrau, um Williams standesgemäße Unterbringung. Sie vermittelte ihm ein Zimmer zur Untermiete im Haus ihrer Schwägerin und lud ihn fast täglich zum Essen ein. Wobei sie natürlich nichts unversucht ließ, ihm die Reize ihrer hübschen Tochter Rachel vor Augen zu führen. Unter anderen Umständen hätte William vielleicht nicht Nein gesagt. Rachel war ein großes Mädchen mit dunklen Haaren und sanften braunen Augen. Durchaus eine kleine Schönheit, aber verglichen mit Kura fiel sie ebenso ab wie Elaine.
Von den Wardens oder McKenzies ließ sich vorerst niemand im Ort sehen. Kiward Station tätigte zwar durchaus Einkäufe, aber Gwyneira schickte nur Angestellte, um die Sachen abzuholen, bei denen es sich nicht um persönliche Dinge handelte. Dorothy verriet ihm in einer ihrer regelmäßigen geschwätzigen Teestunden, dass Gwyneira fast all ihre Kleider in Christchurch kaufe.
»Jetzt, wo die Straßen besser ausgebaut sind, ist das ja keine große Sache mehr. Früher war es eine Weltreise, aber jetzt ... und die Kleine, ihre Enkelin, ist wohl ziemlich verwöhnt. Ich kann mich nicht erinnern, dass die je auch nur einen Fuß in unseren Laden gesetzt hat! Da muss jede Kleinigkeit aus London kommen!«
William fand diese Auskunft enttäuschend. Natürlich war es schön, dass Kura Geschmack hatte, das Kleiderangebot der Candlers wäre wirklich unter ihrem Niveau gewesen. Doch die Hoffnung, sich in Haldon mit ihr treffen zu können – zunächst zufällig und später vielleicht sogar heimlich –, konnte er wohl begraben.
Immerhin erschien endlich Miss Gwyn, fast sechs Wochen nach Williams Ankunft in den Canterbury Plains. Sie saß auf dem Bock eines Planwagens neben einem schon etwas
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