Das Lied der Maori
Williams Helfer ließ ihm keine Zeit, sich zu fassen. Er ließ es wieder einmal deutlich an Respekt fehlen. Der vierschrötige Maori zog William rücksichtslos auf die Beine.
»Sind Sie verletzt? Nein? Dann kommen Sie, wir müssen die Schafe umtreiben. Hier ist nichts mehr zu machen, aber die Rinder müssen irgendwo unterkommen. Eben kam ein Bote, Miss Gwyn treibt die Ochsen zu den Scherschuppen. Da müssen die Schafe rein, damit die Rinder in die Paddocks können. Und schnell, die können jeden Moment kommen.« Der Mann rannte zu den Schuppen, sah sich aber mehrmals um, als wollte er sichergehen, dass William artig folgte.
William fragte sich, warum Gwyn nicht gleich die Rinder in die Scherschuppen trieb, und wollte schon einen diesbezüglichen Befehl geben. Doch er konnte sein Wort gerade noch zurückhalten, als er die kleinen Eingänge zum Schuppen sah. Natürlich, hier wurden die Schafe nach der Schur mehr oder weniger einzeln herausgelassen, dann durch ein Bad getrieben und erst wieder im Paddock gesammelt. Durch dieses schmale Tor bekamen die Reiter niemals eine aufgebrachte Rinderherde. Auch die Schafe waren nicht begeistert vom Wechsel in die Schuppen. Mit der Schur verbanden sie nicht die angenehmsten Erinnerungen; die Schafscherer gingen nicht gerade sanft mit ihnen um. Doch hier leisteten die Hütehunde die Hauptarbeit. William und die anderen Männer mussten den Strom der Schafe nur in die richtigen Pferche umleiten und die Tore schließen.
William bekam kaum mit, wie Gwyn und Andy die Rinder eintrieben, aber natürlich hörte er später von ihrer offenbar spektakulären Leistung. Sie hatten die Herde Ochsen kurz vor dem Maori-Dorf eingeholt und gestoppt, gewendet und zurückgetrieben, und das mit nur vier Reitern und einer Hütehündin. Deshalb hielten die Schäden durch den Blitzschlag sich in Grenzen. Der Rinderstall war zwar völlig zerstört, doch der Holzbau ließ sich leicht erneuern, und die Heuvorräte waren ohnehin so gut wie aufgebraucht gewesen. Bei den Maoris waren lediglich ein paar Felder zertrampelt; den Schaden würde Gwyneira ersetzen. Tiere hatte man nicht verloren, und bei den Helfern gab es nur ein paar Schrammen und leichte Rauchvergiftungen. Lediglich Poker und Maaka hatte es härter getroffen. Der alte Viehhüter hatte Prellungen und eine ausgerenkte Schulter davongetragen; der Maori-Junge hatte Rippenbrüche und eine hässliche Kopfwunde.
»Das hätte allerdings viel schlimmer kommen können«, meinte Andy McAran, als endlich alles vorbei war und die Rinder in ihren neuen Pferchen Heu kauten. Jack und seine Freunde hatten es geschafft, auch die Bullen in Richtung Scherschuppen zu treiben und zur Ochsenherde zu gesellen. Jetzt liefen sie stolz zwischen den Arbeitern herum. Jacks Behauptung, in Europa bekäme man Geld für das Ärgern von Stieren, wenn man vor Zuschauern mit einem roten Tuch vor ihnen herumfuchtele, ließen in jedem Maori-Jungen den Berufswunsch »Torero« erwachen.
»Wie ist das überhaupt passiert?«, fragte Andy. »Maaka ist doch nicht zu Stonewall in die Box gegangen, oder?«
Während Gwyneira mit ihrem Sohn schimpfte, dem sie bodenlosen Leichtsinn vorwarf, begann McAran die Untersuchung des Vorfalls. Jack und die anderen Helfer konnten hier jedoch keine Antwort geben; keiner von ihnen hatte den Unfall gesehen. Maaka selbst war noch nicht ansprechbar. Schließlich wanderte McArans Blick zu Poker, der immer noch hustend auf einer Decke saß.
»Der Prinzgemahl hat gepfiffen ... Verzeihung, gekniffen«, bemerkte der alte Viehhüter mit bedeutsamem Grinsen. Dann wurde sein Gesicht wieder schmerzverzerrt. »Könnte mir mal jemand die Schulter einrenken? Ich verspreche auch, dass ich nicht schreie.«
»Was haben Sie sich bloß dabei gedacht?« Gwyneira war mit ihrem Sohn fertig und hatte den fleißigen Helfern ein Fass Whisky spendiert. Die Maori-Frauen hatten einen Sack Saatgut als Dankeschön für die Hilfe bekommen. Jetzt nutzte Gwyneira den Rückweg zum Herrenhaus, um William zusammenzustauchen. Sie war durchnässt, schmutzig und schlechtester Laune und suchte nach einem Sündenbock. »Wie konnten Sie den Jungen fallen lassen?«
»Ich sagte doch schon, es war ein Unfall!«, verteidigte sich William. »Ich hätte nie ...«
»Sie hätten den Jungen da gar nicht ranlassen dürfen! Konnten Sie die Kette denn nicht selbst lösen? Das Kind könnte tot sein! Und Jack ebenfalls! Aber während die zwei Halbwüchsigen versuchten, den Bullen zu befreien, saßen
Weitere Kostenlose Bücher