Das Lied der Maori
Sie in der Ecke und guckten das Vieh an wie ein verschrecktes Kaninchen!«
Poker hatte das nicht ganz so ausgedrückt, also musste die Formulierung von Jack stammen. Erneut spürte William Zorn in sich aufsteigen.
»So war es doch gar nicht! Ich ...«
»So war es sehr wohl!«, unterbrach Gwyneira ihn. »Warum sollten die Jungs lügen? William, ständig versuchen Sie, Ihre Stellung hier zu festigen, was ich ja verstehe. Aber dann passieren Ihnen solche Geschichten! Wenn Sie noch nie mit Rindern zu tun hatten, warum sagen Sie es dann nicht? Sie hätten doch auch bei der Eimerkette mitmachen können oder bei der Reparatur der Pferche ...«
»Ich hätte mit Ihnen reiten sollen!«, erklärte William.
»Damit Sie mir womöglich vom Pferd gefallen wären?«, fragte Gwyneira rüde. »William, wachen Sie auf! Dies ist kein Betrieb, den Sie führen können wie ein Country-Gentleman. Hier können Sie nicht morgens gemütlich mit Ihrem Hunter über die Farm reiten und die Arbeit verteilen. Sie müssen wissen, was Sie tun, und Sie können sich glücklich schätzen, wenn Sie Leute wie McAran und Poker haben, die Ihnen dabei unter die Arme greifen! Solche Leute sind unschätzbar wertvoll. Sie können das nicht mit den Zuständen in Irland vergleichen!«
»Das sehe ich anders«, erklärte William stolz. »Ich finde, es ist eine Frage des Führungsstils ...«
Er sah im letzten Licht des Tages, wie Gwyneira die Augen verdrehte.
»William, Ihre Pächter in Irland sind seit Generationen auf dem Hof. Die brauchen die Landlords gar nicht, die würden den Laden auch allein in Gang halten – und womöglich besser! Aber hier haben Sie es weitgehend mit Anfängern zu tun. Die Maoris sind begabte Viehhüter, aber die Schafe kamen erst mit den
pakeha
, in dieser Gegend vor gerade mal fünfzig Jahren mit Gerald Warden. Da gibt es keine Tradition. Und die weißen Viehtreiber sind Abenteurer, die kommen von sonst wo. Man muss sie anlernen, und da hilft kein Imponiergehabe. Hören Sie endlich auf mich, und verhalten Sie sich wenigstens ein paar Monate still. Lernen Sie von Leuten wie James, Andy und Poker, statt sie immer nur zu brüskieren!«
William wollte etwas erwidern, aber inzwischen hatten sie das Haus erreicht und verhielten die Pferde vor den Ställen. Gwyneira führte ihre Stute ganz selbstverständlich herein und machte Anstalten, sie abzusatteln; die Stallburschen hatten sich vermutlich mit den Löschhelfern in irgendeinen Schuppen verzogen und feierten. Man konnte von Glück sagen, wenn sich nicht auch noch das Hauspersonal zu der improvisierten Party gesellte.
William versorgte sein Pferd ebenfalls selbst und wünschte sich jetzt nur noch ein Bad und einen ruhigen Abend mit seiner Frau. Zumindest der würde ihm mit ziemlicher Sicherheit beschieden sein. Gwyneira zog sich früh zurück, und wenn Kura wieder mal darauf bestand, stundenlang am Flügel zu sitzen, hatte William heute auch nichts gegen das Privatkonzert. Er konnte dabei Whisky trinken – und sich schon mal die Freuden ausmalen, die sie anschließend im Schlafzimmer miteinander teilen würden. Was das anging, gab es keinerlei Probleme: Nach wie vor war jede Nacht mit Kura eine Offenbarung. Je mehr Erfahrung sie sammelte, desto raffiniertere Einfälle kamen ihr, um ihn glücklich zu machen. Sie war ohne jede Scham, liebte mit allen Sinnen und bot ihm ihren geschmeidigen Körper in Stellungen dar, die selbst William manchmal erröten ließen. Doch ihre Freude an der Liebe war völlig unschuldig und frei. Was das anging, war sie ein Naturkind. Und ein Naturtalent.
Gwyneira hielt William die Tür zum Herrenhaus auf und warf ihren durchnässten Mantel im Vorraum ab. »Puh, war das ein Tag. Ich glaube, ich genehmige mir jetzt mal einen Whisky ...«
William war ausnahmsweise ihrer Meinung, doch die beiden kamen erst gar nicht bis zum Barschrank.
Aus dem Salon klangen diesmal nämlich nicht wie erwartet Klavierspiel und Gesang, sondern leise Stimmen und heftiges Schluchzen.
Kura hockte weinend auf einem Diwan. Miss Witherspoon versuchte verzweifelt, sie zu beruhigen.
William ließ einen forschenden Blick über die Szene schweifen. Auf dem Tischchen vor dem Sofa standen drei Teetassen. Anscheinend hatten die Damen Besuch gehabt.
»Du hast das gewollt!« Als Kura ihrer Großmutter ansichtig wurde, sprang sie auf und blitzte sie zornglühend an. »Du wolltest das! Du hast genau gewusst, dass es passieren wird! Und du hast mitgemacht!« Letzteres richtete sich an
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