Das Lied der Maori
William. »Du wolltest gar nicht nach Europa. Ihr wolltet alle nicht, dass ich ... dass ich ...« Kura begann wieder zu schluchzen.
»Kura, benimm dich wie eine Lady!« Miss Witherspoon versuchte es jetzt mit Strenge. »Du bist eine Ehefrau, und da ist es völlig normal ...«
»Ich wollte nach England. Ich wollte Musik studieren«, jammerte Kura. »Und nun ...«
»Du wolltest vor allem William, hast du mir gesagt«, erklärte Gwyneira kurz und bündig. »Und jetzt solltest du dich fassen und uns darüber aufklären, warum du ihn plötzlich nicht mehr willst. Heute Morgen beim Frühstück bist du mir noch ganz glücklich erschienen.« Gwyn schenkte sich jetzt wirklich einen Whisky ein. Egal, mit welchen Launen Kura sich herumschlug, sie brauchte eine Stärkung.
»Wirklich, Liebes ...« William hatte zwar nicht die geringste Lust auf weitere Komplikationen an diesem katastrophalen Tag, doch er setzte sich trotzdem neben Kura und wollte sie in den Arm nehmen. Vielleicht fragte sie ja, warum er nach Rauch stank und voller Ruß war. Doch Kura schien es gar nicht zu registrieren.
»Ich will das nicht ... ich will nicht ...« Sie schluchzte hysterisch. »Warum hast du nicht aufgepasst? Warum hast du ...« Sie entzog sich der Umarmung und trommelte mit den Fäusten auf Williams Brust ein.
»Nimm dich zusammen, Kura!«, befahl Miss Witherspoon. »Du solltest dich freuen, statt herumzuwüten. Jetzt hör auf zu weinen und berichte deinem Mann die Neuigkeiten!«
Gwyneira ging das Problem inzwischen von einer anderen Seite an. Sie wandte sich an Moana, die Maori-Haushälterin, die eben Anstalten machte, das Teegeschirr abzuräumen.
»Wer war denn hier zu Besuch, Moana? Meine Enkelin ist völlig aufgelöst. Ist irgendwas vorgefallen?«
Moana strahlte über ihr ganzes, breites Gesicht. Sie zumindest schien nicht beunruhigt. »Ich nicht gehört, Miss Gwyn«, erklärte sie vergnügt, senkte dann aber die Stimme, als verriete sie ein Geheimnis. »Aber war Miss Francine. Hat Miss Witherspoon geschickt nach ihr, für Kura!«
»Francine Candler?« Gwyneiras unwillige Miene hellte sich auf. »Die Hebamme aus Haldon?«
»Ja!«, schluchzte Kura. »Und jetzt könnt ihr euch von mir aus alle freuen, dass ihr mich angebunden habt auf eurer verdammten Farm! Ich bin schwanger, William, ich bin schwanger!«
William blickte von der weinenden Kura zur peinlich berührten Miss Witherspoon und zur begeisterten Moana. Schließlich schaute er zu Gwyn, die ihren Whisky trank, den Ausdruck einer zufriedenen Katze, der sich endlich die Milchkammer öffnet, auf dem Gesicht. Dann erwiderte sie seinen Blick.
William Martyn erkannte, dass Gwyneira Warden McKenzie ihm in diesem Moment alles verzieh.
6
Während William Martyn seine Stellung auf Kiward Station solcherart festigte, feierte man in Queenstown die Hochzeit zwischen Elaine O’Keefe und Thomas Sideblossom.
Die Atmosphäre war dabei ein wenig gespannt, vor allem bei dem obligatorischen Walzer, den die Mutter der Braut und der Vater des Bräutigams zusammen zu bestreiten hatten. Fleurette O’Keefe verhielt sich dabei, als zwinge man sie zum Tanz mit einem überdimensionierten Weta. So jedenfalls drückte Georgie es aus und handelte sich dafür eine Rüge von seiner Großmutter Helen ein. Ruben fand die Bemerkung durchaus passend, hätte selbst allerdings noch angemerkt, dass Fleurette die Berührung mit den Rieseninsekten nie wirklich gefürchtet hatte – ganz im Gegensatz zum Kontakt mit John Sideblossom.
Ruben selbst genoss seinen Tanz mit Thomas’ blutjunger Stiefmutter. Zoé Sideblossom war kaum zwanzig Jahre alt und tatsächlich sehr hübsch. Sie hatte goldblondes, lockiges Haar, das sie zur Hochzeit aufgesteckt trug, während es sonst bestimmt bis zu ihren Hüften reichte. Ihr Gesicht war aristokratisch blass und ebenmäßig, die Augen von tiefem Braun, was zu ihrem Haar und ihrem Teint irritierend wirkte. Die junge Frau war höflich und sehr gut erzogen, Ruben konnte Leonards Urteil, sie sei schön, aber eiskalt, nicht bestätigen.
In puncto Schönheit stach die Braut an diesem Tag allerdings alle aus. Elaine trug ein reich geschmücktes weißes Kleid mit weitem Rock und sehr eng geschnürter Taille. Sie konnte vom Hochzeitsessen kaum etwas zu sich nehmen. Ihr Gesicht schien von innen heraus zu strahlen, und ihr Haar leuchtete unter dem Spitzenschleier und dem Brautkranz aus weißen Blüten. James McKenzie versicherte ihr, nie eine so schöne Braut gesehen zu haben,
Weitere Kostenlose Bücher