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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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sie umklammerte ihn mit aller Kraft, ungeachtet seines Geruchs nach Schweiß und ungewaschener Kleidung, bis ihr einfiel, dass ihm ihre Umarmung sicher Schmerzen bereitete. Sie ließ ihre Arme sinken.  
    »O Gott, entschuldige, ich habe nicht daran gedacht …! Wie geht es dir? Hast du große Schmerzen?« Weitere Fragen sprudelten aus ihr heraus, wie ein Wasserfall drängten sich Worte auf ihre Lippen.  
    Sie konnte ihre Blicke nicht von ihm lassen. Er hatte abgenommen, und in seinen dunkelgrünen Augen spiegelte sich hinter der momentanen Freude eine Erschöpfung, die sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Natürlich, sagte Moira sich. Die vergangenen Wochen mussten hart für ihn gewesen sein. Erneut stiegen die schrecklichen Bilder in ihr auf. Die entsetzlichen Schläge, das viele Blut …  
    »Geh ins Küchenhaus«, murmelte er eindringlich. »Man darf dich hier nicht sehen!«  
    Sie nickte, löste sich widerwillig von ihm, ließ aber seine Hand nicht los. »Komm, du auch.«  
    Er blieb stehen. Jetzt erst bemerkte sie, dass er nicht nur Fußeisen trug, sondern auch mit einer schweren Kette an die Bank gefesselt war. Sie biss sich auf die Lippen, zog sich aber gehorsam in den Schatten der geöffneten Küchentür zurück. Die wenigen Schritte, die sie jetzt voneinander entfernt waren, erschienen ihr wie eine Meile. An der Wand neben sich konnte sie ordentlich aufgereihte Töpfe, Schöpflöffel und Pfannen erkennen.  
    »Was ist los mit dir?«, fragte sie, als Duncan sich bückte und den Topf wieder aufhob. »Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?«  
    »Moira«, begann er leise. »Du musst mir etwas versprechen.«  
    Alles!, wollte sie antworten. Aber er klang so seltsam. »Was denn?«  
    Sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel. Er sah auf den Topf in seinen Händen, dann blickte er auf. »Komm nicht wieder. Vergiss mich.«  
    »Nein!«, fuhr sie auf, senkte ihre Stimme aber sogleich wieder. »Nein, nein, und nochmals nein! Was redest du da? Haben dich ein paar Peitschenschläge all deine Zuversicht verlieren lassen?« Sie wusste, dass sie ungerecht war, aber es war die Verzweiflung, die ihr diese Worte eingab.  
    Sie sah Wut in seinen Augen aufblitzen. Gut so! Das Feuer war noch da. Aufbegehren stand ihm besser als Resignation. Aber gleich darauf schüttelte er den Kopf. »Ich bin nicht gut für dich. Ich bin für niemanden gut.«  
    »Das ist nicht wahr! Ich … ich liebe dich. Ich brauche dich.« Ihre Stimme drohte zu brechen. »Duncan?«  
    Er antwortete nicht. Sah zu Boden und schüttelte erneut den Kopf.  
    »Heißt das, du liebst mich nicht?«  
    »Doch!«, stieß er fast zornig hervor. »Mehr als mein Leben. Aber es hat keinen Sinn. Ich muss sechs Monate diese Ketten tragen, und bis ich ein freier Mensch bin, wird eine noch viel längere Zeit vergehen. Und du bist dann immer noch verheiratet.«  
    Er liebte sie. Wärme flutete durch Moiras Körper wie eine Sommerbrise. Sie trat einen Schritt vor. Sie wollte ihm nah sein, wollte ihn berühren.  
    »Ich habe gestern in der Bibel nachgeschaut. So, wie du es mir gezeigt hast. Einfach aufgeschlagen und mit dem Finger auf eine Seite gedeutet.« Nun, ganz so war es nicht gewesen. Sie hatte die Stelle, die ihr nur vage im Gedächtnis war, so lange gesucht, bis sie sie gefunden hatte. Aber das musste Duncan nicht wissen. »Weißt du, worauf ich gedeutet habe? Eine Stelle aus dem Lukasevangelium. ›Er hat mich gesandt zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein –‹«  
    »Ruhig!«, fuhr Duncan sie an und hob die Hand.  
    »Hör dir doch erst einmal an, was ich zu sagen habe!«  
    »Da kommt jemand!«  
    Moira verstummte und wich zurück ins Küchenhaus. Hoffentlich war es nur Wentworth. Ihr Mund war plötzlich ganz trocken.  
    Dann hörte sie es auch: das leise Klirren von Kettengliedern. Es war nicht Wentworth. Es war der hünenhafte Sträfling, den sie vor Monaten zusammen mit Mrs King in der Krankenhütte besucht hatte. Als er jetzt um die Ecke bog, schleiften die schweren Ketten durchs Gras.  
    Moira zog sich noch etwas weiter in die dunkle Küche zurück, damit niemand, der einen flüchtigen Blick in den Raum warf, sie sehen würde. Sie selbst allerdings konnte alles beobachten, was draußen vor sich ging. Stocksteif verharrte sie dort und wagte kaum zu atmen. Ihr Herz vollführte einen wahrhaft irrsinnigen Tanz in ihrem Brustkorb.

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