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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Kranke, die bösen Geister der Krankheit mit ihrem Geruch von Schweiß, Blut und Fieber waren allgegenwärtig. Ningali stand ein paar Augenblicke regungslos, hörte auf die vielen leisen Geräusche, das Atmen, Schnaufen, Stöhnen und das Summen der Buschfliegen. In regelmäßigen Abständen flackerten kleine Feuer an der Wand und warfen einen schwachen Schein über die schlafenden Gestalten.  
    Ningali wartete still in einer Ecke, bis sie die farbigen Schimmer zu sehen begann, die jeden der Körper umgaben. Einige waren dunkel, gezackt, andere farbig, und wieder andere kaum noch vorhanden. Diese waren dem Tode nah.  
    Dort hinten, nahe einem der hölzernen Pfeiler, glomm es in dunklem Rot. Dan-Kin. Sie huschte zu ihm, der Dingo folgte auf ihren Fersen.  
    Dan-Kins Geist war schon wieder getrübt. Die schrecklichen Schläge, die Ningali aus der Ferne verfolgt hatte, waren kein Ritual gewesen, sondern eine Strafe. Das hatte ihr der Vater gesagt. Er hatte das alles selbst auch erlitten – und ihr erzählt, dass die Behandlung dieser Wunden sogar noch schmerzhafter sei als die Schläge. Ningali hatte die Schreie der Verletzten gehört, die immer wieder aus dem Gebäude drangen. Jetzt wedelte sie die allgegenwärtigen Fliegen fort, zog die leichte Decke von Dan-Kins Rücken und begann, den Verband zu lösen.  
    Die Weißen wussten nicht, wie man Wunden richtig behandelte. Dies war schon die zweite Nacht, in der sie sich zu ihm schlich. Die Heilpaste, die sie in der vergangenen Nacht aufgetragen hatte, war entfernt und durch die Medizin der Weißen ersetzt worden. Ningali verstand die Weißen nicht. Sahen sie denn nicht, dass das Heilmittel der Eora viel besser für ihn war?  
    Dan-Kin bewegte sich. Ningali stieß einen gurrenden, beruhigenden Ton aus. Der Dingo kam näher und schnüffelte an Dan-Kins Rücken. Ningali schob ihn fort, als er zu lecken beginnen wollte, griff in den Beutel an ihrem Gürtel und holte das Blätterpäckchen heraus. Es hatte eine Weile gebraucht, bis sie all die Kräuter und Wurzeln beisammenhatte, die sie benötigte. Sie kniete nieder, tauchte ihre Finger in die grünliche, aromatisch riechende Masse und begann, sie auf Dan-Kins Rücken zu verteilen. Als die kühle Salbe seine Wunden berührte, spannte sich sein Körper an, als erwarte er neuen Schmerz, neue Qual. War er wach? Sie gurrte erneut, als sich seine Glieder auch schon wieder entspannten.  
    In der nächsten Nacht kam sie ein drittes Mal. Und diesmal sah sie mit Genugtuung, dass ihre Medizin nicht entfernt worden war.  
    Sie hatte sich gerade erhoben, um den Raum zu verlassen, als ein unerwartetes Geräusch sie aufschrecken ließ. Sofort duckte sie sich wieder, versuchte, mit den Schatten zu verschmelzen.  
    Ein Mann betrat den Raum und begann, die Reihen abzuschreiten. Ningali presste sich an die Wand hinter Dan-Kin. Hier drinnen konnte sie sich nicht so gut verstecken wie im Wald. Gleich würde er sie entdecken! Leise holte sie Atem und stieß den Dingo leicht an. Das Tier löste sich von ihrer Seite und lief auf den Mann zu. Diese Ablenkung nutzte sie und rannte los, auf die geöffnete Tür zu.  
    Kaum im Freien, umfing die Nachtluft sie mit beruhigender Kühle. Sie blieb stehen, mit klopfendem Herzen. Die Freude darüber, dass jemand ihre Medizin zu schätzen wusste, hatte sie unvorsichtig gemacht. Fast hätte man sie erwischt. Es wurde zu gefährlich für sie. Ein weiteres Mal würde sie nicht kommen können.  
    Wieso kam der Dingo nicht? Sie blickte zurück.  
    Ein Schatten erschien in der Tür. Er rief etwas, das sie nicht verstand. Sie zog sich weiter ins Dunkel der Bäume zurück.  
    »July?«  
    Es war allein dieser Name, der sie innehalten ließ. July! Der Name, den Mo-Ra ihr gegeben hatte. Wenn ein Weißer diesen Namen kannte, dann musste er ein Freund von Mo-Ra sein. Und wohl auch von Dan-Kin.  
    Jetzt erkannte sie den Mann. Im Licht, das aus der geöffneten Tür drang, war sein Haar hell wie Honig. Sie hatte ihn schon öfter gesehen, hier im Gebäude für die Kranken, aber auch dort, wo er wohnte. Er war freundlich. Und er war ein Freund von Mo-Ra.  
    Ob sie es wagen konnte, ihm zu vertrauen? Langsam trat sie aus der Dunkelheit hervor, das Päckchen mit der Heilpaste fest umklammert.  
    *  
    Die Fesseln um Duncans Knöchel waren aus schwerem Eisen. Ein Schmied hatte sie ihm heute Morgen angepasst. Und nur ein Schmied würde sie wieder entfernen können. Große Schritte konnte er nicht machen, denn eine

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