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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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öffnete er sie wieder. »Was sollte mich das Schicksal eines dreckigen Sträflings kümmern?«  
    Moira starrte ihn fassungslos an, in ihrem Kopf herrschte nur noch Leere. Langsam erhob sie sich. »Dann werde ich selbst gehen!«  
    »Ich verbiete dir, das Haus zu verlassen!« McIntyre packte sie am Arm.  
    Sie sah ihm ins Gesicht, in dieses rotfleckige, verhasste Gesicht. »Was wollt Ihr dagegen tun? Mich auch nach Norfolk Island schicken? Lieber wäre ich mit Duncan dort als nur noch eine Minute bei Euch! Ihr seid … erbärmlich! Ich hasse Euch!«  
    Bevor er sie schlagen konnte, riss sie sich los und stürmte durch die Tür, vorbei an Ann, die sie mit offenem Mund anstarrte.  
    »Komm sofort zurück!«, hörte sie ihn rufen, dann war sie draußen.  
    Sie hätte am liebsten geweint, doch dafür war jetzt keine Zeit. Durch Pfützen und Schlamm rannte sie hinüber ins Kutschenhaus. Der Sträfling, der die Tiere auf die Weide führen sollte, war nirgends zu sehen, die Pferde standen noch immer in ihren Verschlägen. Die Kutsche, die sie und McIntyre nutzen durften, befand sich ebenfalls hier. Aber ohne Hilfe würde es zu lange dauern, das Kutschpferd anzuschirren, ganz zu schweigen davon, dass sie damit bei diesen aufgeweichten Wegen kaum vorankäme. Kurzentschlossen ging sie in den nächsten Verschlag, in dem ein brauner Wallach stand, der ihrem Nachbarn Mr Huntington gehörte. Das Tier kannte sie; einmal hatte sie Duncan zugesehen, wie er den Braunen striegelte. Moira näherte sich dem Pferd mit beruhigenden Lauten, streichelte es und bemühte sich, ihre Aufregung zu unterdrücken. Sie hatte noch nie selbst ein Pferd gesattelt, aber schon oft dabei zugesehen. Mit fliegenden Fingern nahm sie eine Satteldecke und legte sie dem Braunen über. War das, was sie hier tat, schon Diebstahl? Mr Huntington hatte sicher nichts dagegen, wenn sie sich sein Reitpferd kurz auslieh. Sie hatte sowieso keine andere Wahl, wenn sie Duncan retten wollte.  
    Nervös blickte sie zurück. War McIntyre ihr gefolgt? Nein, es war niemand zu sehen. Als sie einen der Sättel vom Halter nahm, fiel ihr Blick auf die Leiter zum Heuboden. Wie oft hatten Duncan und sie sich dort oben geliebt … Sie unterdrückte das Schluchzen, das in ihr aufsteigen wollte, legte dem Pferd den Sattel über die Decke und zurrte den Gurt fest. Dann führte sie das Tier aus dem Kutschenhaus. Ein Windstoß traf sie und zerrte an ihrem Kleid, der Himmel war ein düsteres Grau.  
    Sie brauchte zwei Anläufe, bis sie den Steigbügel traf und sich nach oben schwingen konnte; der Herrensitz war ungewohnt für sie. Kurz rutschte sie auf dem Sattel herum, um ihren Rock richtig unter sich zu bringen, dann griff sie den Braunen am Halfter und stieß ihm die Fersen in die Flanke. Regen lief ihr über die Haare und in den Ausschnitt.  
    »Los«, murmelte sie, mehr zu sich als zu dem Pferd. »Nach Parramatta.«  
    Dort stand die Sommerresidenz des Gouverneurs. Moira betete darum, dass Mr King sich jetzt dort aufhielt.  
    Erst als sie bereits den schlammigen Weg entlangpreschte, fiel ihr ein, dass sie überhaupt nicht gefragt hatte, wo Duncan sich jetzt befand.  
    *  
    In der Ecke neben einer großen Kiste schimmerte etwas silbrig. Ein Gespinst wie aus feiner Seide, mit einer runden, trichterförmigen Öffnung. Ganz in der Nähe gurgelte der Fluss. Regen prasselte gegen die Bretterwände, Wind ächzte im Gebälk. Der Vorratsschuppen quoll schier über, an den Wänden stapelten sich Rumfässer und Kisten, Taurollen und Säcke mit Getreide. Seit der vergangenen Nacht diente er außerdem als Gefängnis.  
    Duncan versuchte zum wiederholten Mal, sich in eine etwas angenehmere Position zu setzen, aber es war sinnlos. Er spürte kaum noch seine Hände, die hinter seinem Rücken um einen hölzernen Pfeiler und zusätzlich mit Handschellen an einen daran befestigten eisernen Ring gefesselt waren. Um seine Knöchel schlossen sich nach wie vor die schweren Eisenketten. Samuel hatte man sicher ähnlich gebunden, in dem zweiten Vorratsschuppen, den man erst vor kurzem etwas weiter oberhalb errichtet hatte. Und wenn man sie an diesem Tag endlich losmachen würde, dann nur, um sie zur körperlichen Züchtigung abzuholen. Wieder angebunden an den verhassten Baum. Wieder die barbarischen Schläge. Und dann, blutig und zerschlagen, auf die Teufelsinsel. Für immer.  
    Die Angst überfiel ihn in Wellen. Brandete auf, türmte sich über ihm zusammen, begrub ihn unter sich und ebbte

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