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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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dunkler, volltönender Stimme. Er erkannte die Melodie: eine alte irische Weise, ein Liebeslied.  
    »… wie süß die Stunden doch verrannen mit dem Mädchen, das ich ließ zurück …«  
    Das war nicht die fiebrige Klage eines Kranken; das war reiner, klarer Gesang, tief und melodisch.  
    »Wer singen kann, ist bald wieder bereit zur Arbeit«, war McIntyres einziger Kommentar, als sie in das Zwielicht der Hütte traten.  
    Der Gesang brach ab, und Duncan sah, wem die klangvolle Stimme gehörte: Samuel Fitzgerald! Der Hüne saß gefesselt auf dem Boden und blickte den Eintretenden erwartungsvoll entgegen. Auf der anderen Seite lagen zwei weitere Sträflinge auf dem Bauch und ächzten.  
    »Guten Morgen, Doktor – Duncan!« In Samuels Stimme schwang freudige Überraschung mit.  
    So fröhlich hatte Duncan den Hünen noch nie erlebt, und das trotz der schweren Fuß- und Handfesseln. Duncan wusste erst seit kurzem, dass man Samuel nach seiner Flucht wieder eingefangen und hart bestraft hatte. Er hatte erwartet, einen gebrochenen, kranken Mann zu sehen, gepeinigt von Schmerzen und Fieber. Stattdessen sang er.  
    McIntyre machte sich daran, Samuels Verbände zu lösen. Man hatte den Hünen übel ausgepeitscht – einhundert Hiebe, hatte es geheißen –, und seine Wunden verheilten nur langsam, aber der große Mann schien sich kaum daran zu stören.  
    »Streich das hier dünn auf die Striemen.« McIntyre drückte Duncan einen Tiegel mit Salbe in die Hand und wandte sich dann den beiden anderen Sträflingen zu. Sie hatten gestern die Peitsche schmecken dürfen – vermutlich hatten sie in den Augen der Aufseher zu langsam gearbeitet oder gar gewagt, ihnen zu widersprechen.  
    »So fröhlich?«, fragte Duncan leise. Wenn er im Flüsterton sprach, tat sein Hals nicht gar so weh.  
    Samuel brummte zufrieden. Viel zufriedener, als es ein Mann in seiner Situation sein konnte; gefesselt, mit zerfetztem Rücken und der niederschmetternden Aussicht auf Verbannung auf die Teufelsinsel.  
    »Mir ist ein Engel erschienen«, murmelte Samuel.  
    »Ein Engel?« Duncan sah ihn besorgt an. Hatte der Hüne doch höheres Fieber als gedacht? »Ist schon gut. Du kommst schon wieder auf die Beine.«  
    Samuel hob den Kopf. »Ich habe Güte gesehen«, sagte er, geheimnisvoll lächelnd. »Ihr Name ist Anna.«  
    »Anna?« Phantasierte er jetzt?  
    »Sie war hier«, fuhr Samuel fort. »Hier in dieser armseligen Hütte. Anna. Anna King.«  
    »King?« Endlich begriff Duncan. »Die Frau des nächsten Gouverneurs?« Er öffnete den Salbentiegel.  
    Samuel nickte. »Mrs King. Mrs Anna King. Sie –«, er stöhnte auf, als Duncan Salbe auf seine Wunden strich, »sie ist ein Engel. Mein Engel. Sie … sie wird nicht zulassen, dass man mich fortbringt. Eines Tages werde ich sie wiedersehen. Und dann werde ich ihr meine Seele zu Füßen legen.«  
    Als sie die Hütte verließen, begann Samuel erneut zu singen, sein melodischer Bass schwebte ihnen hinterher. Noch jemand mit einem unerfüllbaren Traum.  
    *  
    »Hhm.« Der Wachtposten runzelte die Stirn. Regen lief dem Mann über die Hutkrempe. Wenn er noch länger auf die beiden Ausweise starrte, würde die Tinte verlaufen, befürchtete Duncan. Konnte der Mann überhaupt lesen? Wahrscheinlich schon. Um Soldat zu werden, musste man wohl lesen können.  
    Offenbar war es verdächtig, wenn zwei Sträflinge allein mit einem Karren unterwegs waren. Das fehlte noch, dass man Ann und ihn hier wegen unleserlicher Papiere festnahm. Seit einigen Wochen benötigte jeder Zivilist, der über Land reiste, sei es nun freier Siedler oder Sträfling, einen von offizieller Stelle ausgestellten Ausweis. Damit wollte man gegen die vielen Landstreicher und entflohenen Sträflinge vorgehen, die allmählich zur Plage wurden und Reisende überfielen. Wer sich nicht entsprechend ausweisen konnte, wurde festgenommen und musste einem Richter Rede und Antwort stehen.  
    »In Ordnung.« Der Soldat gab Duncan die beiden Ausweise zurück. »Ihr könnt weiterfahren.«  
    Die Tinte war etwas verlaufen, aber zum Glück noch leserlich. Duncan gab Ann die feuchten Schreiben, die sie unter ihren Umhang nahm, damit sie trocknen konnten, und trieb das Pferd an.  
    Sie waren einige Meilen vor Sydney, hinter der Steinbrücke über den Duck River, unter der das Wasser träge dahinfloss. Der Weg war schlammig, der Wagen kam nur schwer voran. Regen strömte wie ein feiner Schleier vom Himmel. Das also war der

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