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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Handzeichen, das andeutete, sie solle verschwinden.  
    Der Major folgte ihrem Blick. Im nächsten Moment riss er die Pistole hoch und zielte auf das Mädchen.  
    »Nein!«, schrie Moira, aber da hatte er schon abgedrückt.  
    Der Schuss knallte durch die Luft wie ein Peitschenschlag. Moira keuchte entsetzt. Alles Leben schien zu ersterben, die Vögel hörten auf zu singen, bleierne Stille legte sich über den Vormittag. Auch die Zuschauer waren vor Schreck zurückgewichen. Das Mädchen und der Dingo waren verschwunden.  
    »July!«, rief sie und wollte loslaufen.  
    »Bleib hier!«, zischte McIntyre sie an und hielt sie zurück. »Reiß dich zusammen!«  
    »Aber er hat auf sie geschossen!«  
    Ihr Blick fiel auf O’Sullivan, der noch immer auf dem Boden kniete. In seiner Miene fand Moira ihre eigene Fassungslosigkeit gespiegelt.  
    Der Schuss hatte noch mehr Einwohner von Toongabbie herbeigelockt. Von allen Seiten erhoben sich jetzt neugierige oder bestürzte Stimmen.  
    »Geht nachsehen«, befahl der Major seinen Soldaten und deutete mit der Waffe auf das Dickicht.  
    Es drängte Moira, selbst in den Busch zu laufen und nach July zu suchen, doch sie konnte nur stumm dastehen und warten, voller Angst, den schmalen, toten Körper des Mädchens in den Händen eines Rotrocks zu sehen.  
    Nach kurzer Zeit kehrten die Soldaten zurück.  
    »Major, Sir, da war nichts«, berichtete einer. »Aber an ein paar Blättern klebt Blut.«  
    »Wie bedauerlich. Die Wilde hätte sich gut in meiner Trophäensammlung gemacht. So wird sie wohl im Busch verrecken.« Der Major ließ seine Fingergelenke knacken. »Bringt mir mein Pferd!«  
    Moira konnte es kaum erwarten, bis er endlich aufgestiegen war. Das Rot seines Uniformrocks tat ihr plötzlich in den Augen weh.  
    »Für heute bist du noch einmal davongekommen«, wandte er sich an O’Sullivan. »Aber ich beobachte dich. Und irgendwann werde ich dich hängen sehen.«  
    Dann ritt er mit seinen Männern davon.  

9.  
     
    Geschüttelt von trockenem Würgen ließ Duncan den Löffel sinken, aber da er noch nichts gegessen hatte, kam nur heiße, brennende Galle. Er spuckte die ätzende Flüssigkeit ins Stroh, schloss die Augen und atmete mehrmals stoßartig ein und aus. Er wartete, bis sich sein rasender Herzschlag wieder beruhigte, dann nahm er ein paar kleine Schlucke aus der Wasserflasche, um den widerwärtigen Geschmack wegzubekommen.  
    Sein Hemd klebte ihm am Körper, die Haare im Nacken waren feucht vor Schweiß, und seine Kehle brannte, als hätte er mit Nägeln gegurgelt. Normalerweise klappte es morgens am besten. Wieso heute nicht? Im gleichen Maß, wie das Zittern nachließ, stieg die Verzweiflung in ihm auf. Es dauerte so viel länger und war so viel mühsamer, als er gehofft hatte. Und jetzt dieser Rückschritt. Er würde es nie schaffen. Dann würde der Doktor ihn zurück auf die Felder schicken. Zurück zu Schlägen, mörderischer Arbeit und halben Rationen. Ohne die Möglichkeit einer frühzeitigen Begnadigung.  
    Reiß dich zusammen!, sagte er sich und holte tief Luft. Noch war nichts verloren.  
    Er öffnete die Augen. Ein Sonnenstrahl schien durch die Bretterwände des Kutschenhauses und beleuchtete die Gegenstände, die neben ihm im Stroh lagen: einige lange Riedgräser, ein Löffel und ein Stück Draht mit einer winzigen Schlaufe am Ende; Dinge, die völlig harmlos wirkten, wenn man nicht gerade versuchte, sie sich in die Kehle zu stecken.  
    Duncan spürte, wie sich seine Magenwände erneut zusammenzogen, aber es gelang ihm, die Übelkeit zu unterdrücken. Jeden Morgen und jeden Abend übte er, seit fünf Tagen schon. Anfangs hatte er sich einfach nur den Finger in den Hals geschoben. Später probierte er es mit den anderen Sachen. Angehende Schwertschlucker machten es sicher nicht anders. Wenn er nichts im Magen hatte, konnte er den Würgereiz am besten kontrollieren. Ein paar Sekunden hielt er es inzwischen aus. Noch viel zu wenig. Aber immerhin ein Anfang. Jetzt musste es ihm nur noch gelingen, an etwas anderes zu denken.  
    Etwas anderes. Als hätte er sie gerufen, erschien die zierliche Figur von Mrs McIntyre vor seinem geistigen Auge. Die Strähne schwarzen Haares, die sich immer wieder vorwitzig aus der Haube hervorkämpfte und sich wie eine Liebkosung an ihre Wange schmiegte. Die Bibel in ihren Händen mit den viel zu kurzen Fingernägeln, die aussahen, als hätte sie sie abgekaut. Ihre feinen Züge, die ein Kribbeln in seinem

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